Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Sekundärliteratur:
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Nielsen, Merete: Marie Dentière,
Der Bericht des Moderators auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes
vom 19. bis zum 21. September 2019 in Nürnberg
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,
es ist mir eine Ehre, Ihnen meinen zweiten und zugleich auch letzten Bericht als Moderator des Reformierten Bundes vortragen zu dürfen.
Meinen Bericht möchte ich anhand der folgenden vier thematischen Schwerpunkte aufbauen:
- Thema Frieden
- Karl-Barth-Jahr
- Der Reformierte Bund innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Ein Rückblick auf die Amtszeit und der Versuch eines Ausblicks
1. Thema Frieden
Frieden ist und bleibt ein Thema. Dafür brauchen wir nicht ausschließlich den Blick in unsere Geschichtsbücher oder den Gang zu den historischen Stätten des NS-Regimes, die allein in dieser Stadt beredetes Zeugnis davon abgeben, wie sich aus gesellschaftsspaltender und hasserfüllter Ideologie, zunächst Gewalt entwickelt und in einen entfesselten Krieg mündet. Wer in unserer Geschichte 80 Jahre zurückblättert, der bekommt eine Ahnung von den gravierenden Auswirkungen einer gezielten Desinformationspolitik, die wir heute „fake news“ nennen. Wer hinterfragte denn noch nach sechs Jahren nationalsozialistischen Propagandafeuers, dem Forcieren eines Feindbildes, im September vor 80 Jahren, ob denn wirklich nur zurückgeschossen wurde- andererseits hätte es da auch nichts mehr genützt.
Der Blick in die Geschichte stellt uns mit beiden Beinen in die Gegenwart. Anders als unsere Vorväter und Vormütter stehen wir vor der täglichen Herausforderung uns auszusuchen, welche Informationen wir im engeren Sinne des Wortes wahrnehmen und damit für wahr halten. Was für eine Wirkung eine bis in die Mitte der Gesellschaft reichende Themensetzung aus dem äußersten Rand unseres politischen Spektrums mit sich bringt, ist gesellschaftlich spürbar.
Ich nenne ein Beispiel: Die Diskussion um das Verbot an Kopftüchern an Grundschulen. Zahlreich wurde darauf hingewiesen, dass es sich empirisch und phänomenologisch betrachtet um kein Thema handelt. Und doch spricht man davon und schon kochen die Emotionen hoch. Schon fangen Eltern bei der Einschulungsfeier genauer an, zu gucken, wie die größeren Kinder auf dem Schulhof aussehen. Wir müssen höllisch aufpassen, dass die Saat der Zwietracht nicht bereits in unserer Wahrnehmung Wurzeln treibt und wir anfangen, nur noch über Menschen zu sprechen und nicht mehr mit ihnen.
Frieden ist und bleibt ein Thema für uns, weil wir spüren, dass die Botschaft der Versöhnung Christi in unsere Zeit hineingesprochen werden muss, weil wir spüren, dass die zunehmende Spaltung in unserer Gesellschaft uns in unserer Haltung als Christinnen und Christen herausfordert. In vielen Gesprächen im Anschluss an die Verabschiedung unseres Zwischenrufes haben viele von der frustrierenden Erfahrung gesprochen, sich an den großen militärpolitischen und friedenspolitischen Fragestellungen abzuarbeiten. Nachvollziehbar wurde oft gesagt, dass das Thema zu komplex ist und das Wissen zu gering. Daher möchte ich unseren Blick von der großen weltpolitischen Bühne auf die Bretter lenken, die wir aktiv bespielen und gestalten können – unser Gemeindeleben.
Unsere Überzeugung, dass wer aus der Versöhnungstat Jesus Christi lebt, keine Feindschaft zwischen Menschen ertragen kann, hat zuallererst Konsequenzen für die Weise, wie wir in diesen Zeiten die Gemeinde Jesu Christi vor Ort gestalten: Ich glaube, wir haben die Aufgabe jeweils in unseren lokalen Bezügen Foren zu ermöglichen, wo mit einander gesprochen und über die Herausforderungen unserer Gesellschaft diskutiert wird – nicht nur gemeindeintern sondern mit so vielen relevanten Gruppen vor Ort wie möglich.
Zunehmend kritisch beobachte ich auch, wie nicht das Gespräch mit religiösen Minderheiten gesucht wird, sondern auch wie der Diskussionsfaden mit politisch Konservativen immer dünner wird und zu reißen droht. Ich befürchte, wir tragen in unguter Weise zur Spaltung bei, wenn wir einander zu schnell in extreme Schubladen verbannen und die Diskussion, den Austausch von Argumenten unmöglich machen. Die gesellschaftlichen Spaltungen verlaufen quer durch unsere Gemeinden und es bleibt eine Aufgabe, an ihrer Überwindung zu arbeiten. Der Einsatz für den Frieden in unserem gesellschaftlichen Umfeld ist ein lebendiger Ausdruck unseres Glaubenslebens.
Lassen Sie uns dabei unser Licht nicht unter den Scheffel stellen: Wir können auf einen reichen Erfahrungsschatz in der Kirche zurückgreifen. Toleranz muss eingeübt werden und wenn wir es ernst meinen, dann geht damit ein Ringen um einen gemeinsamen Weg einher und nicht schweigendes und voneinander abgewandtes Ertragen. Es lohnt sich, unsere Gemeinden zu Orten zu gestalten, in denen mit einander um Lösungen für die Herausforderungen gesucht werden. Die Probleme bezahlbaren Wohnraum in Ballungsgebieten zu finden, der demographische Wandel vor allem im ländlichen Raum und auch die Herausforderungen, die Flucht und Migration für das gesellschaftliche Zusammenleben mit sich bringen. Für diese Themen können wir Begegnungsräume schaffen und ausbauen. Gemeinden können zu Orten werden, wo miteinander gerungen wird ein Zeichen gegen die auseinanderstrebenden Kräfte in unserer Gesellschaft gesetzt werden.
Mit unseren Kirchtürmen wollen wir ja nicht einen pittoresken Beitrag zur Silhouette der Stadt leisten, in der wir leben: Wir wollen sie mit unserer Botschaft der Versöhnung prägen. Dass mit lokalen, partizipativen Diskursen ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Demokratie geleistet werden kann, hat u.a. Jürgen Wiebicke in seinem Büchlein „10 Regeln für Demokratieretter“ deutlich gemacht. Das sollte uns ermutigen.
Lassen Sie mich allerdings auch die Grenzen eines jeden Gesprächs deutlich machen: nämlich dort wo die Würde, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in Frage gestellt wird, kann es von unserer Seite nur Widerstand geben.
In einer Zeit, in der es tosende Zustimmung für diejenigen gibt, die rhetorische und politische Sprengsätze an die mühsam erbauten Brücken der Versöhnung bringen, sind wir gut beraten den ökumenischen Austausch zu stärken und die Handwerkerinnen und Handwerker zu stärken, die diese Wege des Friedens bauen.
In einer Zeit, in der die radikalen Kräfte der Rechten europäisch und global bestens vernetzt sind, gilt es sich der friedensstiftenden Gestalt unseres Netzwerks der Kirchen bewusst zu werden. In besonderer Weise ist mir das in unserem europäischen Kontext wichtig. Die ideelle und finanzielle Unterstützung der Flüchtlingsarbeit in Budapest, die wir im vergangenen Sommer mit in Gang gesetzt haben, ist ein exemplarisches Beispiel hierfür. Die Solidarität der Kirchen untereinander erschöpft sich nicht in der bloßen Spendenaktion, sondern im Bekanntmachen der Arbeit vor Ort und der Stärkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ungarn, die unter ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen arbeiten müssen. Stärkung durch Berichterstattung, Stärkung dadurch, dass Gemeinden die Menschen im Projekt in ihre Fürbitte eingeschlossen haben. Lasst uns diese Wirkung nicht unterschätzen.
Es lohnt sich in diesen Austausch zu investieren und so haben wir in Zusammenarbeit mit dem europäischen Gebiet der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen eine europäische Tagung ins Leben gerufen, auf der wir dem Thema nachgehen wollen: „Zwischen Zeitung und Bibel. Was heißt es, Christus in Europa heute zu bekennen?“ Anhand der Impulse aus der Theologie Karl Barths sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus West- und Osteuropa miteinander ins Gespräch kommen und einander zuhören. Ein spannendes Projekt, dass durch die Zusammenarbeit mit dem Karl-Barth-Beauftragten Dr. Johannes Voigtländer und der Präsidentin des Europäischen Gebietes Martina Wasserloos-Strunk als Mitglied des Moderamens so möglich wurde.
Das auf der vergangenen Hauptversammlung verabschiedete Friedenspapier ist auf eine grundsätzlich positive Resonanz gestoßen und es wurde meiner Einschätzung nach an vielen Orten rezipiert. Mit wenig Begeisterung kann man im Abstand von zwei Jahren sehen, dass einige der in diesem Papier beschriebenen Analysen und die in der Folge hiervon zum Ausdruck gebrachten Befürchtungen eingetreten sind. So wenig das einen in der Sache zufrieden stellen kann, so sehr zeigt es, wie gründlich und sachkundig das damalige Vorbereitungsteam gearbeitet hat.
In den vergangenen Jahren habe ich an verschiedenen Orten und vor sehr unterschiedlichem Publikum die Möglichkeit bekommen, das Friedenspapier vorzustellen und mit Mitgliedern und Gemeinden ins Gespräch zu kommen. Pfarrkonvente und Gemeindekreise gehörten dazu. Die Resonanz auf die Kerngedanken des Papiers und die Reichweite der Veranstaltungen stehen dabei in einem proportional umgekehrten Verhältnis. Während wir mit unserem Friedenspapier 2017 zu den ersten innerhalb der EKD gehörten, die eine theologische Standortbestimmung vorgenommen haben, haben nun im Vorfeld der im November stattfindenden EKD-Synode fast alle Gliedkirchen sich in unterschiedlichster Weise der Thematik angenommen und haben zum Teil synodale Prozesse zum Thema Frieden gestartet.
War das Aufgreifen der Friedensthematik des ersten Friedenswortes des Reformierten Bundes in den 80er Jahren ein Thema, das auf der Straße diskutiert wurde, ja Menschen zu Hunderttausenden auf die Straße und zu Kundgebungen trieb, stellt sich die Lage heute gänzlich anders dar: Die Kirchen sind zu eine Art Hüterin eines Themas geworden, das gesellschaftlich zurzeit nur wenig bis keine Resonanz findet. Ich beobachte, dass das Sommerloch mit der Frage nach kostenlosen Bahntickets vor Soldatinnen und Soldaten gestopft wurde. Die hitzige Debatte darüber steht in keinem Verhältnis zu der gesellschaftlichen und medialen Gleichgültigkeit bis hin zu Ignoranz gegenüber aktuellen, demokratisch legitimierten Einsätzen der Bundeswehr und ihrer strategischen Aufstellung.
In einer kleinen Arbeitsgruppe haben wir den Arbeitsauftrag der Hauptversammlung aufgegriffen, weiter am Friedenspapier zu arbeiten mit dem Ziel, zu jedem Leitsatz des Papiers Material zur Weiterarbeit zur Verfügung zu stellen. Zum Teil ist das bereits gelungen – zum Teil stehen hier noch Materialien aus. Allen, die hieran mitgearbeitet haben, möchte ich herzlich danken – auch Mechthild Gunkel, die lange Zeit als Friedensbeauftragte dieses Thema für uns vertreten hat.
Fühlt man den Puls Zeit, dann treibt in diesen Tagen weniger die Frage nach Frieden als vielmehr die Frage nach Klimaschutz und Bewahrung der Schöpfung die Menschen um und auf die Straße. Ein Thema, das gewiss nicht neu ist, aber nun sind die Auswirkungen des Klimawandels direkt erfahrbar. Ich denke, es wird uns guttun, sich damit auseinander zu setzen und unseren Beitrag dazu zu leisten. Dabei wird es sich lohnen sich bewusst zu machen, wie das Thema Klima unmittelbar mit den Fragen von Gerechtigkeit und Frieden verbunden ist – Themen, bei denen es sich lohnt, m.E. in die vielfältige Arbeit der Weltgemeinschaft und der anderen ökumenischen Gemeinschaften zu blicken und sich weiter zu vernetzen. Das diesjährige Thema der Friedensdekade „Friedensklima“ mag uns da inspirieren.
In einer Zeit, in der ein 16-Jähriges Mädchen symbolisch den Atlantik mit dem Segelboot überquert, um ein sichtbares Zeichen für den Klimaschutz zu setzen, müssen wir uns kritisch Fragen, ob und wo zeichenhaftes Handeln für uns auch angesagt ist. Ich sehe die Gefahr, dass wir durch zu langes Abwägen, im öffentlichen Diskurs nicht mehr wahrgenommen werden.
Kurzum: Als Kirchen werden wir uns zu dieser Thematik verhalten müssen, in dem wir Solidarität zeigen, anfangen umzudenken im eigenen Handeln und die Perspektiven zu dieser Thematik öffnen. Was haben wir hierzu zu sagen? Ich glaube es ist mehr als das Nachsprechen, der bekannten und richtigen ethischen Forderungen, nach mehr Klimaschutz. Es geht darum, wie wir als Christenmenschen diese brennenden Fragen unserer Zeit angehen. WIe kann „Kirche“ in Wort und Tat, mit ihrem Glauben und mit ihren Lebensäußerungen Zeuge des lebendigen Gottes sein, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Es ist nicht unsere Aufgabe im „überhöhten Ton vom Menschen zu sprechen“, wie es Karl Barth einmal formulierte, sondern von Gott, der sich selbst mitteilt. Womit ich gerne zu meinem zweiten Punkt kommen möchte:
2. Das Karl-Barth-Jahr
„Gott trifft Mensch“ unter diesem Motto haben wir im Dezember des vergangenen Jahres das sogenannte Karl-Barth-Jahr am 10. Dezember 2018 – dem 50. Todestags Barths - in Basel eröffnet. Mit der Verleihung des von der Union Evangelischer Kirchen (UEK) gestifteten Karl-Barth-Preises an den Baseler Rechtsanwalt Bernhard Christ, wurde eine der prägenden Wirkungen von Karl Barths Theologie deutlich: Sie ist nicht ausschließlich an akademische Theologinnen und Theologen gerichtet. Barths Begabung war es, Christenmenschen mit seiner Theologie zu begeistern und sie selbst zu eigenständig denkenden Theologinnen und Theologen zu befähigen. Karl Barth, ein Theologe, der den Dialog mit vielen suchte und es nicht nur verstand, viel zu schreiben, sondern seine Theologie für viele verständlich zu machen. Damit hat er Menschen in vielen Ländern dieser Erde erreicht und Biographien geprägt.
Den historischen Anlass für dieses Jubiläum bietet das 100. Jubiläum seines Römerbriefkommentars und sein Tambacher Vortrag, der sich just in diesen Tagen zum 100. Mal jährt. Das Ziel dieses Jahres war klar gesteckt: Anstöße in der Theologie Karl Barths für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden, vor die wir als Kirche Jesu Christi gestellt sind. Verantwortlich für die Idee dieses Jahres ist Generalsekretär Dr. Achim Detmers, dem ich an dieser Stelle herzlich danken möchte und Dr. Johannes Voigtländer, der mit der richtigen Mischung von profundem Wissen, Herzblut und Engagement Projekte entwickelt und durchgeführt hat. Auch für die Administration, die organisatorische Begleitung der Roll-up Ausstellung möchte ich dem Team der Geschäftsstelle – Frau Maronde und Frau Blum meinen herzlichen Dank aussprechen.
Entgegen manch kritischer Einschätzung im Vorfeld hat sich gezeigt, dass sich zahllose Gemeinden und Institutionen mit Veranstaltungen an dem Jahr beteiligt haben. Predigtreihen, Veranstaltungen der Erwachsenenbildung und Lesekreise in Gemeinden wurden flankiert durch große zentrale wissenschaftliche Tagungen, die in vielen von Karl Barths biographischen Lebensstationen verortet waren.
Aus meiner Sicht wird damit zweierlei deutlich: Genuin theologische Themen treffen auf ein Interesse und einen Bedarf an gemeinsamem Nachdenken in den Gemeinden. Und: Ein thematischer Impuls wird von vielen Gemeinden aufgenommen und eigenständig weiter entwickelt. Ich bin gespannt, ob und wie die Beschäftigung mit der Barthschen Theologie Früchte tragen wird in den Gemeinden und Kirchenräten. Denn gerade weil Barth seine Theologie als eine Funktion der Kirche verstanden hat, stellt er die Kirche heute zugleich auch in Frage. Für die Kirchen und nicht zuletzt für ihre Leitungen war und ist Karl Barth ein unbequemer und streitbarer Denker.
Angestoßen vom Reformierten Bund wurde das Projekt von der Union Evangelischer Kirchen, der Evangelischen Kirche in Deutschland und auch dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund getragen und hat eine breite Ressonanz erfahren.
3. Der Reformierte Bund innerhalb der Evangelischen Kirchen in Deutschland
Im Lichte dieses gelungenen gemeinsamen Projektes möchte ich einen Blick auf die Verortung des Reformierten Bundes innerhalb der Evangelischen Kirchenlandschaft und sein Entwicklungspotential werfen. Zunächst macht das Projekt deutlich, wo der Reformierte Bund steht: Als integrierter Teil der Kirchengemeinschaften in Deutschland. Der Bund ist in der Lage, quer über landeskirchliche Grenzen hinweg Themen zu platzieren. Dabei kommt er seiner Selbstbeschreibung als Agentur für Reformierte Theologie nach: Es wird ein theologischer Impuls gesetzt, der im reformierten Spektrum der protestantischen Farbskala zu finden ist und bringt ihn in die gesamte evangelische Kirchengemeinschaft ein.
Das geschieht „politisch“ durch die Arbeit des Moderators oder der Moderatorin in den Gremien der Kirchenkonferenz und dem UEK-Präsidium aber auch sehr praktisch durch direkte Kommunikation mit den Mitgliedsgemeinden und Einzelmitgliedern durch die Geschäftsstelle. Das Karl-Barth-Jahr zeigte im Besonderen, wie dieses Thema weit über ein konfessionell enggeführtes Spektrum aufgenommen und bearbeitet wurde. Damit ein solches Projekt gelingt, ist profunde inhaltliche Vorarbeit nötig. Hinzu treten aber auch eine grundlegende Kommunikation des Projektes und die Ermöglichung der Partizipation von unterschiedlichsten Akteuren im Projekt.
Neben dem Aspekt der Agentur für reformierte Theologie und Frömmigkeit, die Ideen und Material generiert und in Umlauf bringt, sollte aus meiner Sicht zunehmend das Selbstverständnis des Reformierten Bundes als Netzwerk treten. Denn das ist er letztlich: Ein Netzwerk aus engagierten und ansprechbaren Personen, Gemeinden und Landeskirchen, denen die reformierte Form des Theologisierens und Kircheseins am Herzen liegt. Im Moderamen, bei den verschiedenen Beauftragungen und in unterschiedlichen Arbeitskreisen sind viele mit viel Engagement ehrenamtlich dabei. Ich bin dankbar, das erlebt haben zu dürfen und sehe hier auch noch Potenzial für das, was man unter dem Begriff „networking“ fasst. Der reformierte Bund, indem er sich als Netzwerk versteht, lädt zur Partizipation ein und kann leichtfüßiger mit territorialen landeskirchlichen und manchen konfessionellen Grenzziehungen umgehen und Projekte wagen- anders als dies festgefügten Institutionen gelingen kann. Das Barth-Jahr ist ein solches Beispiel hierfür.
Meine gesamte Amtszeit als Moderator und besonders die letzten zwei Jahre sind von der kontinuierlichen Frage nach einer mittel- bis langfristig auskömmlichen Finanzierung des Reformierten Bundes bestimmt gewesen. Eine belastende und immer wieder an die Existenz des Bundes gehende Frage, die in besonderer Weise unsere hauptamtlich Mitarbeitenden umgetrieben hat. Strukturell sollte die Gründung einer eigenen Körperschaft des öffentlichen Rechts, des „Reformierten Bundes in der EKD“ zur Sicherung einer finanziellen Stabilität beitragen. Mit der Zusicherung von jährlichen Zuweisungen der unierten Kirchen aus dem Rheinland, Westfalen, Bremen und Hessen Nassau über diese erste Zeit, konnte das bisher immer erreicht aber leider noch nicht verstetigt werden. Ein Zustand, der Kräfte bindet und nach vorne gerichtete Arbeit sehr erschwert.
Angeregt durch die Initiative der unierten Kirchen laufen seit dem Herbst 2017 Gespräche mit der Union Evangelischer Kirchen, die eine engere auch strukturelle Zusammenarbeit des Reformierten Bundes als Körperschaft in der UEK ausloten. In der Union Evangelischer Kirchen, deren Selbstverständnis sich in dem Satz „Gemeinsam Evangelisch sein“ beschreiben lässt, erlebe ich ein großes Interesse sowie eine große Wertschätzung reformierter Theologie. In diversen Projekten und der täglichen Arbeit ist die Zusammenarbeit bestehende und geübte Praxis. Aus der Sicht der Unierten Kirchen wurde verschiedentlich deutlich, dass eine strukturelle Stärkung der reformierten Stimme in der UEK im gemeinsamen Verbindungsmodell der EKD wünschenswert ist.
Das Interesse, einen guten, gemeinsamen Weg zu finden, ist bei den Gesprächspartnerinnen und -partnern deutlich. Ich sehe die Chancen für den Reformierten Bund darin, unmittelbarer in Prozesse innerhalb der EKD eingebunden zu werden und die reformierte Stimme selbstverständlich in die Diskussion einzubringen. Der Entwurf zur Taufagende, der zur Prüfung und Rückmeldung in den Landeskirchen seit diesem Jahr zur Prüfung kursiert, ist ein prägnantes Beispiel dafür, dass es für das gemeinsame Evangelisch-Sein gut ist, auch eine reformierte Stimme zu integrieren – auch aus der Sicht von lutherischen Geschwistern, die sich bei mancher Formulierung und theologischen Gewichtung dieses liturgischen Entwurfes die Augen gerieben haben.
Ich persönlich habe die UEK als Gast im Präsidium sehr schätzen gelernt, die Arbeit des theologischen Ausschusses für die UEK dort als sehr bereichernd erfahren. Im Übrigen sei hier erwähnt, dass es sich hierbei meist um Gremien und Arbeitsausschüsse handelt, in denen zahlreiche unserer Mitglieder sitzen. Bei den Überlegungen, den Reformierten Bund als Körperschaft strukturell näher an die Arbeit der Union Evangelischer Kirchen heran zu bringen oder zu integrieren, verfolgen wir eine Denkrichtung, die bereits bei der Gründung der Körperschaft eine Rolle spielte: Die Körperschaft hat in ihrer Gestalt die Funktion eines Mediums, das reformierte Theologie und Interessen in die EKD /UEK einspeist. Das Moderamen ist dabei, einen guten Weg auszuloten und in diesem Herbst die Gespräche fortzusetzen um zweierlei zu erreichen: Die Arbeit des Reformierten Bundes auf Dauer zu sichern und die reformierte Stimme im Konzert der Kirchengemeinschaft zu stärken.
Eines ist mir wichtig: Bei all diesen kirchenpolitischen Überlegungen darf der Reformierte Bund als Verein in seiner Arbeit nicht unter die Räder kommen. Im Gegenteil: Seine Stärke als Agentur und Netzwerk für Reformierte Theologie und Frömmigkeit liegt in dieser einzigartigen Zusammensetzung von Einzelmitgliedern, Gemeinden und Landeskirchen. Das macht ihn lebendig und offensichtlich attraktiv. Eine vergleichsweise bemerkenswert konstante Mitgliederzahl und immer neue Eintritte sind ein Beleg für das Interesse. Der Bund zeichnet sich darin aus, dass man hier „out of the box“ Theologie treiben und Kirche denken kann.
Dieser in der Sache einzigartige Gemeindebezug verbunden mit der besonderen Scharnierstellung zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen als großer reformierter und unierter Kirchengemeinschaft ist ein Potenzial, das in die Zusammenarbeit bereits jetzt eingebracht wird und sich zukünftig weiter entfalten kann. Alle Überlegungen zu einer engeren strukturellen Zusammenarbeit mit der UEK bis hin zur Integration der Körperschaft, darf dieses nicht aus den Augen verlieren. Der Kern, wofür wir als Hauptversammlung und Moderamen verantwortlich sind, ist der seit 135 Jahren bestehende Verein des Reformierten Bundes in Deutschland, der durch die Körperschaft als ein in ihrer rechtlichen Form geeignetes Medium die kirchenpolitischen Themen und Projekte einbringt.
Diese Verhältnisbeschreibung dieser beiden rechtlichen Formen muss noch weiter entwickelt und mit Leben gefüllt werden. Eines allerdings möchte ich ausdrücklich sagen: Eine intensive Beschäftigung mit der internen Beziehungsstruktur zwischen Körperschaft und Verein wird den Verein nicht weiter bringen – im Gegenteil. Thematisch ist es an Langeweile und Irrelevanz nicht zu überbieten und inhaltlich trägt es für die Arbeit des Bundes nichts aus. Ich empfehle, dass einzelne divergierende Auffassungen in Fragen der Repräsentanz des Reformierten Bundes als Verein oder Körperschaft zügig geklärt und dann mit nicht minderer Geschwindigkeit zu den Akten gelegt werden. Das führt mich sogleich zu meinem letzten Punkt:
4. Rückblick und Ausblick
Sehr geehrte Damen und Herren,
es war mir eine Ehre, in Ihrem Auftrag den Reformierten Bund vertreten zu dürfen - ihm Gesicht und Stimme zu geben. Ich habe es sehr gerne gemacht, weil mich die Arbeit des Bundes, das Engagement von so vielen denen ich in diesem Kontext begegnet bin, begeistert und ich meinen Teil in den vergangenen Jahren dazu beitragen wollte, die Arbeit des Bundes zu entwickeln und über die Schwelle des Generationenwechsels an der Spitze des Bundes zu bringen. Weil ich diese Aufgabe mit viel Herzblut angegangen bin und versucht habe dieses Amt entsprechen auszufüllen, ist mir die Entscheidung, zur Mitte der gewählten Amtszeit aufzuhören, nicht leicht gefallen. In den vergangenen Jahren habe ich gerne viel Zeit und Energie in diese Aufgabe investiert.
Ich habe es als Privileg empfunden, in verschiedenen Gemeinden zur Predigt oder zum Vortrag eingeladen worden zu sein, auf Synoden im In- und Ausland Grußworte zu halten und dort über die Themen der Zeit miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich habe eine bereichernde Vielfalt des reformierten Protestantismus erlebt. Als reines Ehrenamt lief meine Aufgabe parallel zu meiner normalen Pfarrstelle, was nicht immer einfach war aber dann erschwert wurde durch meine dienstliche Umorientierung, als die Beauftragung zur Projektleitung des Reformationsjubiläums in der Evangelischen Kirche im Rheinland zu Ende ging. Sicherlich: Ein großes Ehrenamt neben dem Hauptberuf zu stemmen war noch nie eine einfache Aufgabe. Aber eines befürchte ich: Es ist nicht leichter geworden.
Wir erleben eine Verdichtung der Arbeit, einen Abbau von Stellen im Pfarrdienst und die Herausforderung, Familienleben mit zwei arbeitenden Eltern zu koordinieren. Das klassische Bild, bei dem der Pfarrer mit seiner Familie jeden Mittag zu Tisch sitzt und so die Abwesenheiten an anderen Zeiten des Tages kompensiert, wird mir manches mal noch skizziert und das mag es auch noch geben. Doch bei den meisten in meinem Umfeld wäre es ein recht einsames Mittagessen, weil die Kinder in der Schule sind und die Partnerin arbeitet. Die Frage nach der Koordinierung eines solchen Ehrenamtes und die Vereinbarkeit mit dem Hauptberuf, kann und darf nicht alleine die Sache des oder der Betroffenen sein.
Mit der Übernahme der Leitung des Evangelischen Forums, des Evangelischen Erwachsenenbildungswerkes in Bonn und Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft, wurde mir sehr deutlich, dass ich meine Investitionen in das Amt des Moderators deshalb überdenken muss. Die Konsequenzen meiner Abwesenheit bedingt durch das Moderatorenamt wären wieder gänzlich vom neuen Aufgabengebiet zu tragen gewesen und die Konsequenzen der Mehrarbeit an mir persönlich hängen geblieben. Kurzum: Allein die äußeren Rahmenbedingungen sind mehr als Grund genug für meine Entscheidung.
Wenn wir aber in dem Amt des Moderators oder der Moderatorin auch einen gestalterischen Auftrag sehen – und so verstehe ich es - und damit mehr meinen, als die Beauftragung zur Leitung von drei bis vier Moderamenssitzungen im Jahr, wünsche ich meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger Strukturen im jeweiligen landeskirchlichen Setting wie auch im Reformierten Bund selbst, die das Ausüben dieses Amts ermöglichen.
Sie waren als Hauptversammlung mutig, als Sie mich vor über vier Jahren mit Mitte dreißig zu Ihrem Moderator gewählt haben. Der Vertrauensvorschuss, den mir die damalige Hauptversammlung in Villigst gegeben hat, hat mich auch in diesem Amt getragen. Zugleich gehe ich aus diesem Amt im Wissen darum, dass ich in den meisten Gremien und Arbeitsgruppen auch vier Jahre später teilweise mit großem Abstand als Jüngster gehe.
Das stimmt mich nachdenklich und ich bedauere, dass mir die Zeit und letztlich die Möglichkeit des kontinuierlichen „Dranbleibens“ fehlte, das Projekt „Next Generation“ umzusetzen, in dem wir junge, im Reformierten Bund engagierte Menschen aktivieren und Projekte entwickeln lassen. Ich glaube, dass wir bei aller guten und berechtigten Reflexion unserer hochgehaltenen Theologiegeschichte, sei es anhand der Reformation, Barmens oder Karl Barths, sensibel für die Fragen der Zeit zu sein haben und uns mutig in die von der Theologiegeschichte noch nicht vollständig kartographierten Bereiche wagen müssen. Die Fragen, die die Veränderungen nicht nur im Klima und unserem Verhältnis zu Ressourcen ergeben werden uns zu einer Haltung heraus fordern. Auch die Fragen im rapiden gesellschaftlichen Veränderungsprozess, der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz werden uns zur Beschäftigung zwingen.
Die Themen hängen zusammen und es ist eine Aufgabe theologischer Existenz – reformierter zumal, die von Karl Barth einmal als „herrenlosen Gewalten“ beschriebenen Mächte, die wir darin am Werke sehen, zu benennen. Dazu müssen wir sie identifizieren – mit theologisch wachem Geist und Gebet – und wir müssen sie verstehen, ihren Reiz kennen, ihre Wirkweise durchschauen und das werden wir nicht ohne den offenen Dialog gerade mit der Generation U40 tun müssen.
Der Reformierte Bund ist etwas Besonderes. Und ich möchte mich bei allen bedanken, die mich im Moderamen bei meiner Arbeit unterstützt haben, allen voran meinen Vertretern, dem Lippischen Landessuperintendenten Dietmar Arends und dem Kirchenpräsidenten Martin Heimbucher. Ich bedanke mich bei meinem Vorgänger Peter Bukowski und Jörg Schmidt, die nicht nur als geografisch nahe Personen auf Anfrage immer zur Stelle waren. Dem Generalsekretär Dr. Achim Detmers danke ich für seinen großen und intensiven Einsatz für die Belange des Reformierten Bundes und natürlich möchte ich mich auch beim Team der Geschäftsstelle, Doris Maronde, Christine Blum, Isabel Metzger, Johannes Voigtländer und Klaus Vogler für die Zusammenarbeit bedanken.
Zum Schluss danke ich meiner Frau und meinen vier Kindern, die mich immer in meinem Ehrenamt unterstützt haben.
Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.
Martin Engels
Im Auftrag des Moderamens lädt Dr. Achim Detmers, Generalsekretär des Reformierten Bundes, zur nächsten Hauptversammlung vom 19. bis 21. September 2019 in Nürnberg ein.