Aktuelles
Aus den Landeskirchen >>>
Aus den Gemeinden >>>
Aus dem Reformierten Bund >>>
Kolumne >>>
from... - die reformierte App
Newsletter
Wir auf Facebook
Church of Scotland: Eine Kirche im freien Fall
Ein Gastbeitrag von Pfarrerin Miriam Groß, Doctor of Ministry (Washington, DC)
Die Sonnenstrahlen tauchten das große Symbol der Church of Scotland in gleißendes, helles Licht. In einem senkrechten Oval war ein brennender Dornbusch abgebildet, hinter dem die schottische Flagge ersichtlich war. Der weiße Rahmen mit der Aufschrift „Nec tamen consumebatur“ („und er wurde nicht verzehrt“) unterstrich die Abbildung der biblischen Berufungsgeschichte des Mose (Ex 3,2).
© Miriam Groß
Ich stand vor dem Kirchenamt der reformierten Church of Scotland und betrachtete das Symbol mit gemischten Gefühlen. Seit meiner ersten Auslandsverwendung (2007-2010) als Pfarrerin in Orkney, einer kleinen schottischen Inselgruppe, war mir die reformierte Kirche sehr ans Herz gewachsen. Das Symbol begleitet mich seitdem als Erinnerung an wichtige Erfahrungen, die mich beruflich und privat tief geprägt haben. Doch heute sah ich zum ersten Mal mit großer Sorge auf das wunderschöne Emblem der schottischen reformierten Kirche, während die soeben gehörten Worte einer Kollegin in meinen Ohren widerhallten. In ihnen schwang viel Trauer und gleichzeitig Wehmut als wir uns über die vergangene gemeinsame Zeit unterhielten. Und fast hatte ich den Eindruck als ob kirchliche Dornbusch lichterloh brannte…
„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“
Das im Emblem der Church of Scotland verwendet Symbol des brennenden Busches führt uns zum Buch Exodus und der Geschichte von Moses. Moses war einem Leben in unvorstellbarem Luxus und Wohlstand in Ägypten entflohen, nachdem er einen ägyptischen Sklaventreiber aus Empörung über dessen Brutalität getötet hatte. Nun war er Schafhirte in der Wildnis. Der biblischen Geschichte zufolge trifft Moses eines Tages beim Hüten seiner Schafe auf einen Busch, der seine Aufmerksamkeit erregt, weil er zu brennen scheint, aber noch nicht verzehrt ist. Als er näher kommt, hört er eine Stimme, die ihm sagt, er solle seine Schuhe ausziehen, weil er auf heiligem Boden stehe. Dort vor dem brennenden Dornbusch begegnet er dem lebendigen Gott, der ihm den göttlichen Namen offenbart und Moses in eine neue Berufung ruft: er soll die hebräischen Sklaven Ägyptens in die Freiheit führen.
Diese biblische Geschichte ist von solch großer Faszination und Kraft, das sie viele Menschen inspiriert hat.
„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“
So kam es mit der Reformation zu einer Neuinterpretation des Bildes vom brennenden Dornbusch. Insbesondere Johannes Calvin interpretierte das Bild des brennenden Dornbuschs als Symbol der Kirche auf Erden, die mit vielen Schwierigkeiten und Nöten konfrontiert war und dennoch vom Geist Gottes getragen und am Leben erhalten wurde. In diesem Sinne glaubte er, dass die Kirche für immer brannte und doch nicht vom Feuer verzehrt wurde.
Als die Verfolgung reformierter Christen, insbesondere in Frankreich, zuzunehmen begann, wurde dieses Bild des brennenden Dornbuschs immer deutlicher. Die französisch-reformierte Kirche der Hugenotten war im 16. Jahrhundert unter besonderem Druck, und doch eine Kirche, die nicht ausgelöscht, sondern, wie sie glaubten, von Gottes Gegenwart getragen und ihr Glaube an Gottes Gnade kundgetan werden konnte Christus.
Eines der größten Massaker der Reformation fand in Frankreich statt, bekannt als das Massaker am Tag des Heiligen Bartholomäus am 24. August 1572. Es fand während der Feierlichkeiten zur Hochzeit der Schwester des Königs, Margarete, mit dem protestantischen Heinrich von Navarra (dem späteren Heinrich IV. von Frankreich) statt. Viele der reichsten und prominentesten Hugenotten hatten sich im weitgehend katholischen Paris versammelt, um an der Hochzeit teilzunehmen. In der darauf folgenden Tragödie wurden etwa 2000 Protestanten auf den Straßen von Paris ermordet. Diesem Massaker folgten unzählige weitere in anderen französischen Städten.
Das Massaker am Tag des heiligen Bartholomäus im Jahr 1572 erschütterte die reformierte Kirche Frankreichs zitierst und verursachte Auswanderungswellen von Hugenotten in andere umliegende Länder, aber auch Nordirland und Schottland bis hin nach Südafrika. Die reformierte Kirche war unglaublichem Leid ausgesetzt worden, doch die Botschaft Gottes war weitergetragen und diese Kirchengemeinschaft vom politischen Feuer und Hass nicht verzehrt worden.
„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“
Das Emblem des Dornbusches fand erstmals 1685 durch William Mure auf der Titelseite seines Buches „The Joy of Tears“ Verwendung, das die Probleme der schottischen Kirche thematisierte. Ab 1691 fand man es auf offiziellen Dokumenten der Church of Scotland und ist seitdem in Verwendung. Das Symbol hat nichts von seiner Aktualität verloren. Im Gegenteil, denn die schottische Kirche befindet sich unter hohem Druck und dessen Zukunft steht massiv auf dem Spiel.
Als ich 2007 nach Orkney entsandt wurde, um die damals neue ökumenische Partnerschaft zwischen der Evangelischen Kirche in Bayern (ELKB) und der Church of Scotland (CoS) einen praktischen Ausdruck zu verleihen und in einigen Jahren Impulse für meine Heimatkirche mit nach Hause zu bringen, erlebte ich die ersten großen Wellen dieser massiven Veränderung. Damals verstand sich die Church of Scotland noch als Nationalkirche. Doch bereits in meiner dreijährigen Amtszeit war diese aufgrund der Bankenkrise, die von Amerika aus auch Europa und damit Schottland erschüttert hatte, vor große finanzielle Probleme gestellt worden
Die finanzielle Verflochtenheit mit Übersee hatte der CoS viel finanziellen Schaden eingebracht, der nun eingespart werden musste. Neben Pfarrstellenkürzungen waren es besonders Kirchengebäude und Pfarrhäuser, die veräußert werden mussten, um die schlimmsten Auswirkungen zu lindern. Ich selbst habe im Auftrag meiner damaligen Gemeinde drei Kirchengebäude veräußert – eine diffizile Aufgabe, die bis dorthin nicht auf dem Horizont meiner Vorstellungen von pfarramtlichen Tätigkeiten gewesen war. Nun musste ich als junge Pfarrerin meine Gemeinde durch diesen Trauerprozess und durch juristische Tiefen begleiten, während ich gleichzeitig versuchte, ihnen beim Heilen und Zusammenwachsen zu helfen.
„New tamen consumebatur“ – „und er wurde nicht verzehrt“
An diesem Apriltag in 2023 war ich erschüttert wieder vor die Türe des Kirchenamtes in Edinburgh getreten. Die gehörten Worte mussten verarbeitet werden. Seit meines Weggangs in 2010 hatten sich die Mitgliedszahlen in dramatischer Weise verändert. Seit 2011 waren die Mitgliederzahlen laut des Berichts der General Assembly von 2022 um 34% gefallen.
“See, I make all things new”: Report Church of Scotland General Assembly 2022, S. 08 Supplementary Report of the Assembly Trustees, S. 14.
Ab 2017 befand sich die CoS im freien Fall.Dr. John Chalmers, Moderator der Church of Scotland 2022, sieht laut Glasgow Times den Grund vor allem im Kontaktverlust mit Millenials bis Generation Z. Diese seien weiterhin auf der Suche nach spiritueller Heimat, würden aber nicht in der Kirche fündig. Daher würde viel Engagement nun in diesen Bereich investiert werden, um die Kirche wieder zukunftsfähig machen zu können.
„Our contact with children and our reach to millennials and Generation Z are marginal. These missing generations are our children and our children’s children. They are not without a desire for spiritual nourishment. They are still in search for meaning and they share many of our values. But all evidence suggests the ways in which these generations will pursue their search for meaning will not be through a top-heavy religious institution. We must invest seriously in new ventures, pioneer ministry and church planting. The time has come for us to cast our bread upon the water before the last one of us finds it is time to switch off the lights and redistribute what is left to other charities with similar aims.“ (The Very Rev. Dr. John Chalmers)
Meine Kollegin berichtete mir von schmerzhaften Zusammenlegungen, Stellenstreichungen und harten Sparmaßnahmen, die die gesamte Kirche in Sorge um die Zukunft versetzte. Die schiere Zahl an zum Kauf zur Verfügung stehende Kirchen erschreckte mich in den kommenden Tagen meines Schottlandaufenthaltes. Und hinterließ einen bitteren Geschmack beim Betrachten des Emblems. Würde der Dornbusch doch dem Austritts- und Finanzfeuer nicht mehr standhalten können und bald nichts mehr als etwas Asche von der einst so stolzen Nationalkirche, die ich am Beginn meiner Amtszeit kennenlernen durfte, übrig bleiben?
Einige von zahlreichen Kirchengebäuden im Umland Edinburghs, die im April 2023 zum Kauf ausgeschrieben sind © Miriam Groß
Es sind solche Erfahrungen, die uns in Deutschland hellhörig machen sollten, wenn wir die eigene Mitgliederentwicklung betrachten. Auch hier stehen schmerzhafte Einsparungen an und ein spürbarer Mitgliederschwund wird schon bald nicht nur in Verkäufen von Gebäuden, Schließungen von Einrichtungen und Zusammenlegungen von Gemeinden resultieren. Vielmehr sehe ich auch hier die Zukunft unserer Kirche schneller als gedacht in Frage gestellt. Wenn wir hierauf nicht mit unseren Kernkompetenzen wie Seelsorge und Diakonie auf der einen Seite, und einem Bemühen um die jüngeren Generationen auf der anderen Seite reagieren, fürchte ich um einen ähnlichen Verlauf wie in der Church of Scotland.
Trotz des gleißenden Sonnenlichts war es mir an diesem sonnigen Apriltag eiskalt über den Rücken gelaufen. Bei meinem Besuch hatte ich mit vielem gerechnet, aber nicht damit, eine einst stolze Kirche als eine Kirche in Not wieder aufzufinden. Ich hoffe sehr, dass die inzwischen kleine Church of Scotland Wege aus dieser Not mit Gottvertrauen und Engagement finden wird.
Pfarrerin Miriam Groß, Doctor of Ministry (Washington, DC)
Der Beitrag erschien erstmals auf der Blogseite von Miriam Groß: https://miriamgross.blog/