Diese Frage stellte Martin Dutzmann als Präsident des Gustav-Adolf-Werks (GAW) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Frage bekommt angesichts des sinkenden Anteils der Kirchenmitglieder eine neue Bedeutung. Erstmals gehören weniger als die Hälfte der Deutschen einer Kirche an. Dutzmann war früher Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche und anschließend Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Im Ruhestand steht er nun an der Spitze des GAW. In Lage-Billinghausen sprach er über „Die Kirche Jesu Christi als Diaspora aus Mehrheits- und Minderheitskirchen“.
Das griechische Wort „Diaspora“ bedeutet „Zerstreuung“ und bezeichnet Kirchen in der Minderheit. Das Schwinden der kirchlichen Bindungskräfte vielerorts mache die Diaspora zu einem Schlüsselbegriff der Kirche, sogar zu ihrer Wesensbestimmung, sagte Dutzmann. Er sprach von einer „neuen weltweiten Diaspora-Situation“. Zu verabschieden habe man sich von der Sichtweise, Diaspora-Kirchen seien klein, unbedeutend, hilfsbedürftig, kaum leistungsfähig. „Also: Weg vom ausschließlichen Gegensatz Reich – Arm, Geber – Nehmer.“ Die Aufhebung der Trennlinie zwischen finanzstarken und finanzschwachen Kirchen bedeute: „Es gibt reichere und ärmere Mitglieder der einen, weltweiten Kirche.“ Die unterschiedlichen Stärken und Schwächen müsse man zusammenführen, „damit Diaspora überall Frucht bringt“. Das gelinge in geistlicher Gemeinschaft, theologischem Austausch und materieller Hilfe.
Das Gustav-Adolf-Werk mit seinem Netzwerk von Minderheitskirchen könne „eigentlich so etwas wie eine Trost-Agentur für kleiner werdende Kirchen sein“, meinte der Präsident. Die Stärken der Evangelischen Kirche in Deutschland seien immer noch ihre Finanzkraft und ihr politischer Einfluss. Doch in Zukunft werde es mehr und mehr notwendig, sich auf weniger zu konzentrieren und Schwerpunkte zu setzen: „Wir können nicht mehr alles machen.“
Wie solche Konzentration aussehen kann, erläuterte Dutzmann an Beispielen aus Südamerika. In Argentinien betreibt die Evangelische Kirche am La Plata, mit knapp 30.000 Mitgliedern eine winzige Minderheit, in dem Dorf Takuapi eine Schule für Indigene vom Volk der Guarani. Dort lernen die Kinder in ihrer eigenen Sprache Lesen und Schreiben sowie Spanisch. Täglich erhalten sie gesunde Mahlzeiten. In Brasilien, in der Großstadt Sao Paulo, betreibt die kleine evangelische Gemeinde diakonische Arbeit für die zahlreichen Wohnungslosen: Sie öffnet ihre Kirche als Ruhepunkt, Seelsorgezentrum und Waschgelegenheit.
Dutzmann sprach zum Auftakt der Mitgliederversammlung des Gustav-Adolf-Werks der Lippischen Landeskirche e.V. Das 1832 gegründete Gustav-Adolf-Werk ist das älteste evangelische Hilfswerk in Deutschland und unterstützt Minderheitskirchen in Europa, Lateinamerika und Asien.