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'Tiere sind genauso beseelt wie wir'
Interview mit Pastor Jan-Henry Wanink
reformiert-info: Herr Wanink, „Ihr Lob auf den Schöpfer ist verstummt“, heißt es hier: In diesen Tagen ist von Ihrer Gemeinde in Osnabrück eine Traueranzeige für drei ausgestorbene Tierarten zu lesen. Was hat es damit auf sich?
Jan-Henry Wanink: Immer mehr Tierarten sterben aus. Im Sommer habe ich bei uns in Osnabrück zum letzten Mal mal einen Kiebitz gesehen. Naturschützer sagen, er wird bald verschwunden sein. Das Artensterben passiert vor unserer Haustür – aber wir verdrängen es. Mit unserer Trauerfeier am Buß- und Bettag wollen wir diese Arten würdigen.
reformiert-info: Schwertstör, Goldkröte, Pyrenäensteinbock: Die Namen der Trauerfälle in Ihrer Anzeige sind vielen Menschen vermutlich gar nicht bekannt. Wie kam es zur Auswahl dieser Tiere?
Wanink: Einige Arten klingen für uns vielleicht erst einmal exotisch. Wenn sie aber fehlen, werden wir das intensiv zu spüren bekommen. Laut Schätzungen sind ein Viertel aller Säugetiearten bedroht, bei Amphibien sind es sogar 40%. Die meisten Arten werden wir gar nicht kennenlernen. Die Goldkröte wurde zum Beispiel erst in den 1960er Jahren entdeckt. Selbst Wissenschaftler konnten sie nur wenige Jahre erforschen. Davon abgesehen können viele von uns Normalbürgern nur wenige Pflanzen- und Tierarten überhaupt unterscheiden. Indem wir in Namen nennen, machen wir das Sterben dieser Lebewesen bewusst. Bei einer Trauerfeier gehen uns Dinge plötzlich nah.
reformiert-info: Warum?
Wanink: Eine Trauerfeier berührt uns. Sie macht deutlich, dass Tiere genauso beseelt sind wie wir. Die Bibel ist in dieser Frage sehr eindeutig: Von Tieren wird mit größter Wertschätzung gesprochen. Tiere werden als beseelte Wesen eingeführt – genau wie wir. So gilt auch der Bund in der reformierten Theologie sowohl für Menschen als auch für Tiere. Wir alle haben unsere eigene Rolle in der Schöpfung. Wenn Tierarten verschwinden, fehlen mehr und mehr Stimmen im Lobgesang der Schöpfung. Das macht uns einsam und traurig. Diese Trauer wird von uns aber oft verdrängt.
reformiert-info: Wie können wir dieser Verdrängung entgegenwirken?
Wanink: Verdrängung hat mit Schuldbewusstsein zu tun. Dazu hatte ich ein Schlüsselerlebnis 2004 bei der Generalversammlung des Reformierten Weltbunds in Accra. Wir besuchten an der Küste Ghanas ein Festungsgebäude mit Kapelle – direkt über einem Sklavenverlies. Das hat mich entsetzt. Ich fragte mich: Wie konnten reformierte Besatzer dort so lange einfach Gottesdienst feiern? An einem Ort, von dem aus über Jahrhunderte Millionen Menschen versklavt wurden? Aber Sklaven galten damals offenbar den Besatzern nicht als ebenbürtig. Sondern so wie Tiere. Bei Tieren ist es aber so bis heute. Erst wenn wir uns bewusst werden, dass wir Unrecht tun, können wir auch unser Denken ändern. In der Kirche haben wir eine gute Möglicheit, damit umzugehen.
reformiert-info: In welcher Form?
Wanink: Zunächst einmal, indem wir unsere Schuld eingestehen. Jeder Gottesdienst fängt mit einem Schuldbekenntnis an. Hier kann Schuld ausgesprochen und abgelegt werden. Damit ist sie nicht aus der Welt, aber wir haben so die Möglichkeit, Abstand zu nehmen und zu fragen: Woran liegt es, dass wir so mit unseren Mitgeschöpfen umgehen? Dann werden wir vermutlich festzustellen, dass das stark mit unserem Lebens- und Wirtschaftsmodell zu tun hat. Unsere Gesellschaft funktioniert nach dem Konzept: Alles muss mehr werden. Aber so plündern wir unsere Erde immer weiter aus, und damit auch die Arten.
reformiert-info: Wie wird das Thema Artensterben in Ihrer Gemeinde wahrgenommen?
Wanink: Ich erlebe eine große Ohnmacht. Manchmal auch Aggressivität. Auf die Aktionen von Klimaaktivisten reagieren in diesen Tagen viele Menschen mit Wut und Hilflosigkeit. Dadurch droht auch das Thema Artenschutz totgeschlagen zu werden. Der Weg der Kirchen – Schuld eingestehen und Gott um Lösungen bitten – wäre eine bessere Möglichkeit damit umzugehen.
reformiert-info: Eine solche Möglichkeit bietet sich in Ihrer Gemeinde am Buß- und Bettag. Wie wird die Trauerfeier ablaufen?
Wanink: Sie wird in der Form kaum abweichen von einer normalen Trauerfeier. Wir werden an die drei Arten erinnern mit einer Biografie, werden erzählen, wo und wie das Tier lebte. Und wir werden Lieder singen, wie sie auch bei Trauerfeiern von Menschen üblich sind. Da es keinen Sarg gibt, werden die Besucher die Möglichkeit haben, vor den Bildern ein Licht zu entzünden. Ich hatte überlegt, die Feier anders zu gestalten, aber es war mir wichtig, die Gemeinsamkeiten mit dem Menschen zu zeigen. Tiere stehen genau wie Menschen in einer eigenen Gottesbeziehung und sollten so auch gewürdigt werden.
Die Trauerfeier ist ein Projekt der Evangelisch-reformierten Gemeinde und der freien evangelischen Gemeinde in Osnabrück, in Zusammenarbeit mit der Jugendkirche. Sie findet am 16. November um 16 Uhr statt, im Bestattungshaus Baumgarte-Preistrupp. Spendengelder gehen an den Nabu Osnabrück e.V.: IBAN DE16 2655 0105 1551 9511 12
Lesetipp: „Wir und die Tiere“. Predigten zur Sommerkirche 2020, Evangelisch-reformierte Gemeinde Osnabrück in Kooperation mit dem Institut für theologische Zoologie in Münster - Siehe auch auf YouTube: "BibelFabelBibel"
Foto: Philipp Eifler