Schnee

Predigt zu Matthäus 17, 1-9 am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 31. Januar 2021


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Von Kathrin Oxen

Wenn es doch wenigstens schneien würde. Andere Regionen in Deutschland hatten da mehr Glück. Eine gnädige weiße Decke über alles, der Dreck in den Straßen darunter verschwunden, der Lärm gedämpft. Mit etwas Glück sogar noch ein bisschen Sonne über dem Weiß, die das Wenige an Licht reflektiert und verstärkt. Die Kinder hätten sich gefreut. Und mir hätte es auch geholfen in diesen trüben Tagen, ein bisschen wenigstens. Die Welt ist so grau gerade. „Harte Wochen“ werden uns prophezeit und einer von den vielen Tipps, wie man da durchkommt, lautet immer: Sich an den kleinen Dingen freuen. Bewusst Höhepunkte setzen, im Tag und in der Woche. Allein das ist schon eine Herausforderung, wenn man so eingeschränkt ist. An Skiurlaub ist nicht zu denken. So weit hinaus und hinauf wollen wir auch gar nicht. Wir würden uns schon über einen Spaziergang im Schnee sehr freuen. Es wäre ein Höhepunkt für uns.

Jesus ist mit seinen Freunden unterwegs. Und seit ein paar Wochen ist auch ihnen die Leichtigkeit irgendwie abhandengekommen. Es war aufregend, mit Jesus zu gehen, die Tage waren voll und erfüllt, Krankenheilungen und wunderbare Speisungen wechselten sich ab. Und sie wurden davon gleich mit heil und satt. Und dann sagte Jesus, dass es aber nicht mehr lange so gehen wurde. Dass da etwas auf ihn zukommt und damit auf sie alle. Etwas Schweres. Einige überhörten das geflissentlich. Nur Petrus schaffte es wieder einmal, in bester Absicht genau das Falsche zu sagen: „Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht!“ (Mt 16, 22). Eine kurze Unruhe entstand, dann gingen sie weiter. Und jeder ging auf seine Weise damit um. Die meisten versuchten es, in den Hinterkopf zu den anderen unaussprechlichen, undenkbaren Gedanken zu schieben. Manche konnten nicht mehr gut einschlafen. Wie es weitergehen sollte, wenn DAS passieren sollte, daran mochten nicht einmal die Mutigen unter ihnen denken. Sie sind mit Jesus unterwegs gewesen. Und wir sind mit ihnen unterwegs, in diesen Tagen, in denen wir auch nicht wissen, was auf uns zukommt, mit all den unausgesprochenen und unaussprechlichen Gedanken im Hinterkopf und ohne eine genaue Vorstellung, wie es weitergehen soll. Wenn es doch wenigstens schneien würde.

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke.

Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. (Mt 17, 1-9)

Nach sechs Tagen kommt der siebte Tag und das ist ein Tag der Unterbrechung. Die vergangenen Tage hatten sich grau angefühlt. Sie gingen mit einem Kopf voll unaufgeräumter Gedanken, den Blick nach unten vor ihre eigenen Füße gerichtet. Aus ihrem grauen Unterwegssein nimmt Jesus sie heraus und führt sie auf einen hohen Berg. Und mit einem Mal geht ihnen die Sonne auf. Ihnen geht ein Licht auf. Das Grau ihrer Tage löst sich auf wie der Nebel am Morgen, wird zugedeckt wie von weißem, weißem Schnee. Einen leuchtenden Moment lang.

schnee / seiner herrlichkeit / schnee / seines lichts / blenden im glanze / des innern gesichts

Kurt Marti hat es einfach schneien lassen am Berg der Verklärung. Er kommt ja auch aus der Schweiz, aus dem Land der schneebedeckten Gipfel. Das Land, durch das Jesus mit seinen Freunden wandert, hat davon keine aufzuweisen. Der Berg der Verklärung kann nicht viel höher als 600 Meter gewesen sein. Die Wirklichkeit reicht eben nicht aus, um zu erklären, was dort passiert ist. Es ist ein Gipfelmoment, ein Panorama mit Fernsicht. Es ist gleißend helle Sonne auf einem endlosen Schneefeld. Es ist ein Ausblick und Einblick in alle Zeiten.

spurlos nahen / moses elia / und glühen / verglühen / ins nichts

Aus der Vergangenheit kommen Mose und Elia in diesen Moment. Sie sind die leuchtenden Vorbilder Jesu. Sie stehen für die Weisung Gottes und für die Einsicht, die man daraus gewinnen kann. Da findet ein Gipfeltreffen der besonderen Art statt. Mose und Elia haben bei ihrem Tod die Nähe Gottes erfahren. Mose, so heißt es, wurde von Gott selbst begraben. Und niemand hat sein Grab je finden können. Und Elia ist nicht gestorben, sondern in den Himmel entrückt worden. Ob sie tot sind, lässt sich schwer sagen. Sie sind spurlos zu Gott verschwunden, diese beiden. Wie das ist, darüber reden sie vielleicht mit Jesus. Und dass es auch für ihn so kommen wird. Ein leuchtender Moment, all dem Grau, aller Sorge und Angst enthoben.

„Hier ist gut sein“ sagt Petrus. Oder seufzt Petrus. Einen leuchtenden Moment raus aus der grauen Gegenwart, Klarheit, Übersicht und vor allem eine Perspektive bekommen. Ich will auch auf so einen Berg. Und ich könnte Petrus in den Arm nehmen für das, was er jetzt sagt. „Lass uns hierbleiben“, schlägt Petrus vor, „ich bau uns Hütten“. Petrus ist wirklich der Fachmann dafür, wie man in bester Absicht immer das Falsche sagt oder tut. Ein leuchtender Moment ist ein leuchtender Moment. Man kann darin nicht wohnen. Schon wird die gleißende Helligkeit überschattet, ein lichte Wolke nur und eine Stimme: „Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören.“

schnee / seiner herrlichkeit / schnee / seines lichts – / doch er mahnt / zum abstieg / ins tal der kämpfe / und des verzichts

Es könnte doch mal schneien. Ja, es könnte alles schöner sein. Aber es ist, wie es ist. Du kannst gerade nichts machen. Und wenn du es versuchst, ist das meiste davon bloß Hüttenzauber. Von dem leuchtenden Moment auf dem Berg bleibt die Stimme, die sagt: „Den sollt ihr hören!“ Und das erste, was Jesus dann sagt, ist: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“

Wir gehen jetzt zusammen wieder herunter von diesem Berg. Der Abstieg ist leicht, der Weg kommt uns entgegen. Und genau so gehen wir weiter, hört ihr? Als gingen wir immer nur bergab. Auch wenn der Weg im Tal dann lang wird. Ich bin bei euch, in den harten Wochen, die vor uns liegen, in Kämpfen und Verzicht. Fürchtet euch nicht. Wir gehen einfach weiter, zusammen. Ich bin bei euch alle Tage. Ich gehe mit euch. Bis an das Ende der Welt.

Amen

Anmerkung: Das Gedicht „berg der verklärung“ stammt aus: Kurt Marti, geduld und revolte. Die gedichte am rand (Neuausgabe) Stuttgart 2002, Seite 41.


Kathrin Oxen
100. Geburtstag Kurt Martis - aktueller Gottesdienst und Predigt

Der Schweizer Theologe und Schriftsteller war fasziniert von Barths politischer Theologie. Im Laufe seines Lebens veröffentlichte er zahlreiche Gedichtbände, Essays, wie auch theologische Texte. Zu seinem 100. Geburtstag finden Sie auf unserer Seite eine aktuelle Predigt und einen Gottesdienst, von Moderatorin Kathrin Oxen.