THEOLOGIE VON A BIS Z
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Solches tut zu meinem Gedächtnis
Die Bedeutung des Abendmahls in der evangelisch-reformierten Theologie
''Gedenken beim Abendmahl heißt: Wir bekennen uns dazu, dass wir hinein genommen sind in die Geschichte Gottes mit den Menschen.''
Liebe Brüder und Schwestern, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Synodalgemeinde,
ich bin gebeten worden, mit Ihnen heute Vormittag über das Abendmahl nachzudenken. Ich danke für die freundliche Einladung und hoffe, Sie nicht zu enttäuschen mit dem, was ich sage. Denn für sie alle gehört das Abendmahl dazu, Sie alle haben sich Ihre Gedanken gemacht. Und manche unter Ihnen werden gerne hingehen. Andere wiederum vielleicht nicht so gerne, weil ihnen nicht klar ist, was das denn soll.
Denn irgendwie scheint es ja doch etwas Geheimnisvolles zu sein. Man kommt zusammen, um gemeinsam zu essen und zu trinken – aber zugleich bekommt man nicht so viel zu trinken, dass man keinen Durst mehr hätte, oder zu essen, so dass man satt würde. Und dann – so jedenfalls in der Grafschaft – das Ganze oft nur im Stehen. Für manche ist das Abendmahl deshalb etwas Merkwürdiges. Und das Wort HokusPokus kommt vermutlich aus der Wahrnehmung des Abendmahls, allerdings des römisch-katholischen Abendmahls, in dem auf Latein die Worte gesprochen wurden: “Hoc est corpus meum”, übersetzt: das ist mein Leib. Und da viele im Mittelalter kein Latein konnten, ist das Geheimnisvolle des Abendmahls, der Eucharistie, hier aufbewahrt geblieben.
Aber da sind wir schon bei der nächsten Frage. Wenn wir heute über das reformierte Verständnis von Abendmahl nachdenken, ist für die meisten vielleicht die Auseinandersetzung zwischen Luther und Zwingli im Hinterkopf. Martin Luther hatte darauf bestanden, dass es dabei bleibt, dass Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden, allerdings nur für den Glaubenden und auch nur für einen Moment. Und Zwingli hatte gesagt: Nein, das ist eine falsche Übersetzung, es muss eigentlich heißen: das bedeutet mein Leib.
In der Folge ist den Reformierten oft unterstellt worden, für sie sei das Abendmahl ein Erinnerungsmahl – und wenn Sie einmal in den Heidelberger Katechismus schauen, dann werden sie das gerade nicht finden. Also – die Sache ist kompliziert. Und ich verkompliziere die ganze Sache noch einmal, indem ich heute einen Begriff in den Mittelpunkt stelle, der vielleicht vielen noch gar nicht so aufgefallen ist: Das Gedächtnis. Mein Ziel heute ist es, in insgesamt 6 Punkten einen Weg zu gehen, der Ihnen vielleicht eine neue Möglichkeit bietet, über das Abendmahl ins Gespräch zu kommen und vielleicht sogar selber etwas neu oder wieder zu verstehen.
1. Der Begriff des Gedächtnisses
Was aber heißt an diesen Stellen: Gedächtnis? Heißt das soviel wie: Solches tut, damit ihr euch an mich erinnert. So ist von außen gesehen auch die reformierte Sicht des Abendmahls gezeichnet worden. Und wenn es das heißt, dann bedeutet es soviel wie: Wir erinnern uns. Die Jünger, die damals mit Jesus gefeiert haben, erinnern sich an das letzte Mahl mit Jesus zurück. Sie erinnern sich – und vielleicht denken sie an die damalige Stimmung, an den Abschied, an ihre Gefühle.
Wenn wir uns erinnern, dann passiert ja oft genau das: Wir erinnern uns an das, was war. Was wir einmal erlebt haben. Vielleicht besondere Tage in unserem Leben, einschneidende Erlebnisse. Vielleicht Prüfungen, vielleicht der Tod von uns lieben Menschen, vielleicht die erste Liebe oder eine besondere Begegnung. Bilder tauchen vor unseren Augen auf, Stimmungen, auch Gefühle. Wir Menschen können uns erinnern – und wenn wir uns erinnern, dann bedeutet das immer auch ein Bewusstsein für Zeit. Denn wenn wir uns an etwas erinnern, dann ist das vor einer bestimmten Zeit geschehen.
An die Jünger konnte dieser Wunsch Jesu mühelos gerichtet sein. Aber wenn wir das Wort hören: Solches tut zu meinem Gedächtnis, dann kann es jedenfalls kein Akt der Erinnerung sein. “Halt im Gedächtnis Jesum Christ”, so heißt ein Lied aus dem Gesangbuch. Dann heißt Gedächtnis vielleicht nicht: Erinnerung, sondern eher so etwas wie Gedächtnismale. In ganz vielen Orten gibt es Kriegerdenkmale, die an die Gefallenen erinnern und uns mahnen, dass der Krieg vor allem Menschenopfer kostet. Heißt Gedächtnismal, dass wir uns der Toten erinnern sollen, sie nicht ganz vergessen sollen? Wenn das stimmt, dann wäre das Wort Gedächtnis wohl nicht ganz recht am Platze, weil wir doch nicht den toten, sondern den lebenden Herrn feiern.
Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist es wohl nicht verwunderlich, wenn wir beim Abendmahl das Wort “Gedächtnis” nicht so in den Mittelpunkt stellen.
2. Das Verständnis des Gedächtnisses in jüdisch-alttestamentlicher Sicht
Jesus hat also das letzte Mahl mit seinen Jüngern als Passahmahl gefeiert, das heißt als ganz bestimmtes jüdisches Mahl in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten und durch das Meer. Damit aber ist scheint für die spezifische Bedeutung des Abendmahls noch nicht viel gewonnen zu sein, weil es ja doch nicht einfach nur ein normales Passahmahl ist. Und hier kommt jetzt eine Beobachtung, die für mich zu einem Aha-Erlebnis geführt hat. Denn in der jüdischen Theologie und auch schon im Alten Testament spielt die Rede vom Gedächtnis eine ganz zentrale Rolle. Das Wort im Hebräischen heißt “Zachor” oder “sachar” – und wenn Sie einmal im Alten Testament das Wort Gedenken in einer Konkordanz nachschlagen würden, dann könnten Sie ohne Mühe erkennen, wie häufig und wie zentral das Wort ist.
Es hängt damit zusammen, dass die Geschichte für das Alte Testament eine zentrale Rolle spielt: Gott offenbart sich in der Geschichte – dem Mose und andernorts. Gott hat den Abraham berufen – und die Geschichte, wie Sie sie mehr oder weniger kennen werden, macht deutlich: Gott ist ein geschichtlicher, das heißt sein Volk in der Geschichte leitender und lenkender Gott. Und deshalb kommt auch so oft das Wort gedenken vor. Immer wieder wird das Volk ermahnt, doch Gottes Handeln zu gedenken – stellvertretend für viele Stellen ist Ps 105 zu nennen: “Gedenket seiner Wunderwerke, die er getan hat, seiner Zeichen und der Urteile seines Mundes”.
Yosef Hayim Yerushalmi, dem ich an dieser Stelle wesentliche Einsichten verdanke, schreibt zu dieser Erkenntnis: “Der Befehl, sich zu erinnern, ist zwar absolut, doch die Sorge um die Erinnerung mutet manchmal fast verzweifelt an; auch die Bibel weiß nur zu gut, wie wenig Verlaß ist auf das Gedächtnis der Menschen.”[1] Das Judentum ist angewiesen auf das Gedächtnis der Geschichte – und es ist nicht falsch, wenn man den jüdischen Festkalender als Ausdruck jüdischer Theologie benennt – im Wesentlichen ist er Aufnahme jüdischer Geschichte und Geschichtserfahrung, aber einer theologisch gedeuteten Geschichte. Hier könnte man jetzt ausführlichere Überlegungen anstellen, was denn das für das jüdische Geschichtsverständnis und damit für die jüdische Existenz insgesamt heißt – das ist spannend, führt aber in eine andere Richtung.
Das Grundverständnis des Gedenkens in jüdisch-alttestamentlichem Sinne kommt meiner Ansicht nach am Deutlichsten und Schönsten an der Gestaltung des Mahles beim Passahfest heraus. Jedesmal wird nämlich dort bis heute eine Stelle aus dem Alten Testament, aus Deuteronomium, dem 5. Buch Mose gelesen, Kapitel 6, Vers 20-25.
“Wenn dich nun dein Sohn morgen fragen wird: was sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die euch der Herr, unser Gott, geboten hat? So sollst du deinem Sohn sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand; und der Herr tat große und furchtbare Zeichen und Wunder an Ägypten und am Pharao und an seinem ganzen Hause vor unseren Augen und führte uns von dort weg, um uns hineinzubringen und uns das Land zu geben, wie er es unseren Vätern geschworen hatte. Und der Herr hat uns geboten, nach all diesen Rechten zu tun, dass wir den Herrn, unsern Gott fürchten, auf dass es uns wohlgehe unser Leben lang, so wie es heute ist. Und das wird unsere Gerechtigkeit sein, dass wir alle diese Gebote tun und halten vor dem Herrn, unserm Gott, wie er uns geboten hat. ”
Hintergrund dieses Textes ist die ein Kapitel vorher erwähnte Gabe der zehn Gebote an Mose und das ganze Ereignis der Wüstenwanderung aus Ägypten. Aber nun ist es nicht so, dass unsere Verse betonen: Wir wollen uns erinnern, was Gott der Herr an unseren Vorfahren getan hat. Nein, hier heißt es ganz bewusst: Wir bekennen, dass der Herr uns aus Ägypten geführt hat – und das sagen bis heute Jüdinnen und Juden, die mehr als dreitausend Jahre von diesem Ereignis weg leben. In einem Talmud-Spruch zur Passahfeier heißt es treffend: “In jeder einzelnen Generation ist ein Mensch verpflichtet, sich selbst so zu betrachten, als ob er aus Ägypten gezogen sei.”[2]
Wenn das jüdische Passahmahl gefeiert wird, dann bekennen sich die Feiernden dazu, dass sie in der Befreiungsgeschichte Gottes mit drin sind. Zwar ist es ein Ereignis vergangener Zeiten, aber theologisch ist es mehr! Wir werden hineingenommen in die Geschichte Gottes. Das heißt Gedenken, dass hier nicht mehr der Abstand der Historie das Entscheidende ist, sondern der theologische Zusammenhang. Und wenn heute Historiker dieses Phänomen als “kulturelles Gedächtnis” verstehen, so ist das nicht falsch, aber doch theologisch noch nicht ausreichend beleuchtet.
Für unsere jüdischen Geschwister ist das Ereignis des Aus-der-Wüste-herausgeführt-Werdens ein Kennzeichen ihrer Erwählung, die bis heute gültig ist. Sie gedenken der vor langer Zeit geschehenen Herausführung, nicht weil sie geschichtsvergessen sind, sondern gerade geschichtsbewußt. Die Kontinuität zwischen dem Auszug aus Ägypten und der jeweiligen Gegenwart ist nämlich nicht das Volk als solches, sondern der, der das Volk hindurchgeführt hat. Und – das führe ich gar nicht weiter aus – dem einseitigen Geschehen von Gott aus – er führt das Volk durch das Meer – entspricht die Antwort des Volkes bis heute: Wir wollen seine Gebote halten. Zuerst handelt Gott und erlöst sein Volk, und daraufhin reagiert der Mensch – der Heidelberger nennt dieses Verfahren “Dankbarkeit”.
3. Das Abendmahl als Gedächtnis
Der Bezugspunkt für das Volk Israel ist hier der Auszug aus Ägypten und die Gabe der 10 Gebote. Nun ist das nicht der entscheidende Bezugspunkt der christlichen Gemeinde, sondern das Kommen Jesu Christi und sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung. Wenn also die christliche Gemeinde, wenn wir Abendmahl feiern, dann ist eben das Gedächtnis, das Gedenken dieses Geschehens der Bezugspunkt. Nicht in dem Sinn: Damals ist das geschehen, und heute ist heute – zweitausend Jahre ist das fast her. Sondern anders:
Der am Kreuz geschehene Tod Jesu Christi geschah stellvertretend – uns zugute. Gott hat sich dahingegeben, um unsere Schuld zu vergeben. Und ich sage jetzt bewusst wieder: “Unsere Schuld”. Denn das Kreuz ist zwar vor fast 2000 Jahren historisches Ereignis gewesen, aber entscheidender als die historische Betrachtungsweise ist die theologische: Er ist nicht nur für die Schuld der damals lebenden Menschen gestorben, sondern für die Sünden der ganzen Welt. Und eben auch für unsere Schuld. Wir sind – so formuliert es Paulus zuweilen – mit ihm gekreuzigt worden, mit ihm in den Tod gegangen, und mit ihm sind wir bereits jetzt neue Kreatur. Und sein Sieg über den Tod, seine Auferstehung bedeutet auch für uns die Hoffnung über unseren Tod hinaus. Das ist das zentrale Ereignis der christlichen Gemeinde. Ohne das gäbe es uns nicht – weder uns als reformierte noch als altreformierte Kirche.
Wenn wir nun im Abendmahl das Gedächtnis dieses Ereignisses feiern, dann heißt das nicht, dass wir durch das Abendmahl dieses Ereignis gültig machen würden. Das ist bis heute tendenziell ein Irrtum der römisch-katholischen Geschwister, dass dort gemeint wird, durch die Feier würde Wirklichkeit geschaffen werden. Sündenvergebung gibt es nicht durch unsere Feier, sondern durch das Kreuz Jesu Christi. Wir gedenken in der Feier des Todes Jesu Christi und damit gleichzeitig, dass dieses Ereignis unser Leben umgreift, dass wir mit einbezogen sind in den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Oder noch einmal anders gesagt: Wir gedenken im Abendmahl der entscheidenden Tatsache, dass Gott unserer gedenkt. Dass Gott seine Kreatur nicht losgelassen hat, sondern zu ihr steht und niemals loslässt das Werk seiner Hände. Wir feiern das Abendmahl – aber entscheidend ist nicht, dass wir etwas tun, sondern dass einer für uns etwas getan hat und tut.
Ich habe Ihnen vorhin, als ich davon erzählte, wie oft das Wort Gedenken in der Bibel vorkommt, einige wichtige Beobachtung noch unterschlagen. Fast noch häufiger, als unser Gedenken dort thematisiert wird, ist dort Gottes Gedenken thematisiert. Gott gedenkt seines Bundes, heißt es dort an vielen Stellen. So wie es bei Paulus im 1. Korintherbrief einmal heißt, dass unsere Gotteserkenntnis im wesentlichen darin besteht, dass wir erkennen, dass Gott uns erkannt hat und erkennt, so ist das auch beim Gedenken. Wir gedenken im Abendmahl der Tatsache, dass Gott unserer gedenkt. Wir machen dieses Gedenken Gottes nicht wirksam durchs Abendmahl, sondern bekennen uns dazu, dass Gott uns lieb hat und versöhnt hat.
In der Fassung der Abendmahlsworte bei Paulus findet sich in 1. Kor 11 noch ein explizierender Zusatz, der in die Abendmahlsfeier der reformierten Kirche aufgenommen wurde: “Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er kommt.” Manchmal wird dieser Vers heute in reformierten Gemeinden weggelassen, weil das so düster sei, vom Tod Jesu Christi zu reden. Aber genau in der eben beschriebenen Hinsicht des Zusammengehörens der Zeiten im Gedenken ist hier dieser Vers zu verstehen: Die Feier des Abendmahls verkündet und bezeugt den uns zugute geschehenen Tod am Kreuz.
Ich weiß, dass heute viele Christenmenschen Mühe mit der Kreuzestheologie haben – und gerade einige altreformierte Geschwister werden sich an eine Debatte vor einigen Jahren in den Niederlanden erinnern, wo Thesen des mittlerweile emeritierten Kampener Neutestamentlers den Heyer für Furore gesorgt haben, weil er die Kreuzestheologie und damit die Versöhnungsbotschaft als nicht so wichtig benannt hatte. Die niederländische Kirche (Hervormde Kerk, Gereformeerde Kerken und Lutherse Kerk auf einer Triosynode) hat in Antwort auf diese Diskussion eine wie ich finde sehr schöne Studie verabschiedet, die die Bedeutung der Kreuzesthelogie auch für heute deutlich macht – die Studie “Jezus Christus, onze heer en verlosser” – auf Deutsch unter dem Titel “Jesus Christus unser Herr und Erlöser” erschienen[3].
Der Tod Jesu am Kreuz ist kein sadistisches Handeln Gottes, sondern ein Rettungsunternehmen. Er dient nicht dazu, Gott zu versöhnen, sondern uns. Gott muss nicht versöhnt werden, er war nie ein beleidigter Gott. Sondern er hat sich dahingegeben. Wir können heute nicht ausführlich auf die Bedeutung und die Problematik der Kreuzestheologie insgesamt zu sprechen kommen – das sprengt unseren Rahmen. Immerhin, das wissen vielleicht die, die mich ein bisschen besser kennen, ist mir die Deutung der Theologie des Kreuzes eines der wesentlichen theologischen Anliegen. Aber – heute eben nicht mehr dazu. Nur soviel am Schluss: Abendmahl und Kreuz hängen ganz eng zusammen und können nicht voneinander getrennt werden.
Und in der Abendmahlsfeier gedenken wir des Kreuzes und damit unserer Erlösung. In 1. Kor 10 kommt Paulus auch schon einmal aufs Abendmahl zu sprechen – und da heißt es in 10,16 (auch ein Text, den wir in der Abendmahlsliturgie sprechen): “das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?” Und hier ist genau diese eben zitierte Dimension der Verschränkung der Zeiten aufgenommen. Im Abendmahl haben wir Gemeinschaft mit dem Herrn Christus. Nicht, weil wir diese Gemeinschaft durch die Feier herstellen könnten, sondern weil wir in der Feier uns als die in die Gemeinschaft Hineingenommenen erkennen können.
4. Zwingli als Gedächtnis-Theologe
Ich hatte die Aufgabe gestellt bekommen, über die reformierte Abendmahlstheologie zu sprechen. Und – das werden Sie bisher gesehen haben – habe ich keinen der großen reformierten Theologen bisher zitiert oder interpretiert, sondern habe versucht, einen biblischen Impuls, eine biblische Dimension zu betonen. Und habe mich dagegen gewandt, das Abendmahl als reines Erinnerungsmahl zu verstehen. Das ist ja Zwingli unterstellt worden. Aber – und jetzt kommt ein Abschnitt zu Zwinglis Verständnis des Abendmahls – damit ist Zwingli unzureichend verstanden worden.
Zwingli selber hat sein Abendmahlsverständnis nicht allein, wie es das oft in der Literatur heißt, auf die Aussagen des niederländischen Humanisten Hoen gegründet, dass das “est” in den Einsetzungsworten in Wirklichkeit als “bedeutet” zu verstehen sei (übrigens eine Erkenntnis, der heute praktisch alle Exegeten Recht geben). Vielmehr war Zwinglis Auffassung des Abendmahls deutlich auch anders begründet. In seiner Schrift “De vera et falsa religione” von 1525 betont Zwingli ausdrücklich, dass das “eucharistiam nostrum pascha”[4] – das Abendmahl unser Passah sei. In der Konsequenz hat Zwingli dann das Abendmahl immer wieder als “widergedächtnis” beschrieben und damit hat er genau das getan, was ich eben ausführlich vorgestellt habe. Nach Zwingli werden die Feiernden von Gott, nicht durch sich selber, zu Zeitgenossen der Geschichte Gottes gemacht.
Einige wenige Zitate will ich anfügen, um das zu verdeutlichen. So heißt es im Commentarius,[5] dass Christus “wollte, daß man mit diesem Abendmahl sein frohes Gedächtnis feiere, daß man ihm damit öffentlich danke für die Wohltat, die er uns gnädig erwiesen hat”[6].
In seiner Schrift “Aktion oder Brauch des Nachtmahls” macht Zwingli dieses Verhältnis deutlich; ich modernisiere die allemannische Sprache Zwinglis: “Und so ist dieses Wiedergedächtnis eine Danksagung und ein Frohlocken dem allmächtigen Gott wegen der Guttat, die er uns durch seinen Sohn bewiesen hat, und welcher in diesem Fest, Mal oder Danksagung erscheint, sich bezeugt, dass er deren sei, die da glauben, dass sie mit dem Tod und Blut unseres Herren Jesus Christus erlöst sind.”[7]
Sie erkennen und bekennen sich als die in die Geschichte Gottes Verwobenen: Im Exodus waren sie selber dabei; im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi sind sie selber gestorben und auferstanden... Der in der Feier des Abendmahls real gegenwärtige Jesus Christus macht die Gemeinde seiner Gegenwart teilhaftig. Im Abendmahl bekennt die Gemeinde diese Geschichte Gottes und ihren Anspruch auch auf die Gegenwart, indem sie sich selber einbezogen weiß.
Mit der Rede vom Gedächtnis ist nun bei Zwingli nicht einfach ein “Sich-Erinnern” gemeint, so, als ob durch das Erinnern das Ereignis und die Bedeutung des Todes Jesu von den Feiernden in ihre Gegenwart hineingeholt würde. Wäre das der Fall, so würde letztlich die feiernde Gemeinde den Tod Jesu und seine Bedeutung wirksam machen; die Gemeinde würde durch ihr eigenes Erinnerungsvermögen das Kreuz Jesu Christi in ihre Gegenwart transportieren. Und damit würde das sich in der Geschichte ereignete Opfer Jesu in die Verfügung der Gemeinde gegeben – eine Vorstellung, der Zwingli gerade wehren will, indem er Wirksamkeit des Opfers und Feier zunächst ganz weit auseinander hält, um sie richtig aufeinander beziehen zu können. “Das Mahl des Herrn ist ein Gedächtnis des Todes Christi, nicht Vergebung der Sünden; denn die gibt es allein aufgrund des Todes Christi.”[8]
Aber dies ist nicht ein Geschehen der Vergangenheit, sondern im Abendmahl bezeugt sich Gott selber. Er ist dabei, das sagt auch Zwingli. Er bezeugt sich den Feiernden. Wie? Einmal dadurch, dass das Abendmahl immer schon durch Handlung und durch das dabei gesprochene Wort die Versöhnung von Gott und Mensch bekundet. Und dann in der Hoffnung und Erwartung, dass das Abendmahl unseren Glauben stärkt.
5. Realpräsenz – ein reformiertes Ja!
Nun ist klassischerweise eine Gegenüberstellung in der Theologiegeschichte oft so gewesen, nach der lutherisches und reformiertes Abendmahlsverständnis darin ihren entscheidenden Gegensatz hätten, dass zentral für die Lutheraner sei: Realpräsenz, das heißt: Im Abendmahl ist Christus gegenwärtig – und für die Reformierten stünde im Mittelpunkt: Nein, er ist nicht gegenwärtig. Nun ist eines dabei richtig. Anders als in der römisch-katholischen und auch lutherischen Tradition sind die Elemente, das heißt Brot und Wein, nicht entscheidend für die Gegenwart. Und auch kein Beleg dafür. Aber es wäre auch falsch, die Realpräsenz wegzuwischen. Die Frage ist, ob Gott, ob Jesus Christus in der Abendmahlsfeier gegenwärtig sind. Ja, so sagen auch die Reformierten, wir vertrauen darauf, dass Gott auch jetzt gegenwärtig ist. Wir machen ihn nicht gegenwärtig durch unsere Feier, aber wir vertrauen darauf, dass er da ist.
Denn – und dieser Akzent ist vor allem durch Calvin in die reformierte Theologie und Tradition hineingekommen: das Abendmahl ist ein Geschehen, durch das uns Gott sichtbar machen will, was unseren Glauben trägt. In Frage 75 des Heidelberger Katechismus heißt es, dass “sein Leib so gewiss für mich am Kreuz geopfert und gebrochen und sein Blut für mich vergossen ist, wie ich mit Augen sehe, dass das Brot des Herrn mir gebrochen und der Kelch mir gegeben wird.” Das ist, so sage ich einmal salopp, göttliche Pädagogik. Weil unsere Ohren zu schwach sind und wir das, was wir hören, nicht so gut begreifen können, gibt es die Sakramente und eben auch das Abendmahl, um uns etwas vor Augen zu stellen, um etwas zu schmecken zu bekommen: ganzheitliche göttliche Pädagogik, das ist ein wesentlicher Akzent des calvinischen Abendmahlsverständnisses. Nun soll uns aber nicht bloß etwas vor Augen gestellt werden, sondern das Abendmahl ist Hinweis darauf, dass Gott selber uns speist und tränkt “mit seinem gekreuzigten Leib und vergossenen Blut”. Und in Frage und Antwort 79 heißt es, diesen Doppelaspekt aufnehmend:
“Wie Brot und Wein das zeitliche Leben erhalten, so sind sein gekreuzigter Leib und sein vergossenes Blut die wahre Speise und der wahre Trank unserer Seele zum ewigen Leben (Joh 6,51.55). Darüber hinaus will er uns durch dieses sichtbare Zeichen und Pfand gewiss machen, dass wir so wahrhaftig durch seinen Heiligen Geist an seinem Leib und Blut Anteil bekommen, wie wir diese heiligen Wahrzeichen mit unserem Mund zu seinem Gedächtnis empfangen (1 Kor 10,16f.). All sein Leiden und sein Gehorsam sind uns so gewiss zugeeignet, als hätten wir selbst das alles gelitten und vollbracht.”
Diesen Akt der Vergewisserung können wir selbst nicht vollbringen. Das wird vielmehr in der reformierten Tradition dem Heiligen Geist zugetraut, der, so auch der Heidelberger Katechismus, in Jesus Christus und in uns wohnt und uns so miteinander verbindet. Der Heilige Geist ist die Wirksamkeit Gottes, er schenkt uns Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Weil also das Abendmahl uns die Bedeutung des Kreuzes vor Augen stellt und der Heilige Geist damit Christus in uns gewiss macht, kann man auch in reformierter Hinsicht von Realpräsenz sprechen: Gott ist in Jesus Christus durch den Heiligen Geist in der Abendmahlsfeier gegenwärtig. Er kann von uns nicht dahin gebracht werden, so dass wir durch die Feier die Gegenwart “machen” könnten.
Aber der Heidelberger Katechismus ist sich dessen ganz gewiss, dass das geschieht. Dieser Akzent ist übrigens von der Leuenberger Konkordie aus dem Jahre 1973 aufgegriffen worden. Bis dahin hatten offiziell lutherische und reformierte Kirchen keine Abendmahlsgemeinschaft, weil sie unterschiedliche Abendmahlsverständnisse hatten. Aber aufgrund der intensiveren Lektüre der Bibel im Laufe des letzten Jahrhunderts und der Erfahrungen der Gemeinschaft in der Bekennenden Kirche ist man einen deutlichen Schrift aufeinander zu gegangen. Hauptgrund war die Erkenntnis, dass nicht wir die Gastgeber am Tisch des Herrn sind, sondern eben die Gäste. Und ein Streit unter Gästen[9], so die Studie von Gottfried Wilhelm Locher, ist peinlich und unangemessen.
Entscheidend ist, dass sich im Abendmahl “der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein” selber gibt. “Er gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Er lässt uns neu erfahren, dass wir Glieder an seinem Leibe sind. Er stärkt uns zum Dienst an den Menschen. Wenn wir das Abendmahl feiern, verkündigen wir den Tod Christi, durch den Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Wir bekennen die Gegenwart des auferstandenen Herrn unter uns. In der Freude darüber, dass der Herr zu uns gekommen ist, warten wir auf seine Zukunft in Herrlichkeit”, so formuliert die Leuenberger Konkordie.
Realpräsenz des Herrn? Ja, das können auch wir Reformierte bekennen. Aber nicht durch das Abendmahl und nicht in den Elementen. Sondern in der Abendmahlsfeier erwarten und feiern wir seine Gegenwart in der Gemeinde und dann auch in den einzelnen.
Wenn ich jetzt, vor dem letzten Punkt, in dem es um konkrete Fragestellungen geht, noch einmal das aus meiner Sicht wichtigste des reformierten Abendmahlsverständnisses zusammenfassen darf, kann ich folgendes sagen:
1. Das Abendmahl ist ein Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Christi. In der Feier bekennen wir uns als Gemeinde dazu, dass Gott uns in das Versöhnungsgeschehen einbezogen hat, dass auch wir versöhnt sind.
2. Deshalb hat die Feier des Abendmahls die Aufgabe, Gewissheit zu bewirken. Da wir uns die Gewissheit selber nicht geben können, vertrauen wir darauf, dass sich Gott selbst in der Abendmahlsfeier uns zuwendet und uns im heiligen Geist Gewissheit schenkt.
6. Aktuelle Fragestellungen
6.1 Ausschluss vom Abendmahl
Die Evangelische Kirche im Rheinland hat im vorletzten Jahr einen bestimmten Passus im Abendmahl gestrichen. Nach klassischer reformierter (und auch lutherischer) Auffassung war es grundsätzlich möglich, dass die Gemeinde Menschen vom Abendmahl ausschließen darf – das ist unter dem Stichwort “Kirchenzucht” bekannt geworden. Das hat die Rheinische Kirche abgeschafft. Der Grund ist, so die Rheinische Kirche, dass das Abendmahl nicht als Disziplinierungsinstrument gebraucht werden darf und dass keinem Menschen die Sündenvergebung, die im Abendmahl geschieht, vorenthalten werden darf. Hier bin ich, das darf ich sagen, der Auffassung, dass die Rheinische Kirche die Kirche beim Abendmahl viel zu wichtig genommen hat.
Erstens hat es in den letzten Jahren in der Rheinischen Kirche keinen Ausschluss mehr gegeben. Sodann setzt die Rheinische Kirche ständig voraus, dass das Abendmahl Sünden vergeben könne und dass wir als Kirche davon keinen von ausschließen dürften. Aber hier hat die Rheinische Kirche einen Denkfehler vollzogen. Denn wenn das Abendmahl gar nicht die Sünden vergibt, sondern der bereits geschehenen Sündenvergebung gedenkt, dann ist der Ausschluss vom Abendmahl kein Ausschluss von der Sündenvergebung. Sondern: eine Gemeinde, die im Abendmahl enge Gemeinschaft hat, sagt: Es gibt Grenzen, wo es einen eklatanten Widerspruch gibt zwischen dem Evangelium und dem Verhalten oder den Aussagen eines bestimmten Menschen. Also: ich plädiere dafür, diesen Grundsatz nicht preiszugeben. Aber in der Betonung, dass es das Instrument der Kirchenzucht weiter geben sollte, ist sofort zu betonen: Aufpassen, dass der Balken im eigenen Auge nicht übersehen wird, wenn man den Splitter bei anderen findet. Das Instrument der Kirchenzucht ist mit großer Vorsicht zu genießen. Aber nicht grundsätzlich zu verabschieden.
6.2 Kinderabendmahl
Ich bin gebeten worden, auf die Frage des Kinderabendmahls einzugehen. Es geht dabei um die Frage, ob Kinder beim Abendmahl teilnehmen dürfen oder nicht. Es war lange Zeit in vielen reformierten Gemeinden so – und das ist es zum Teil noch bis heute – dass die Konfirmation die Zulassung zum Abendmahl war. Aber bevor ich darauf genauer eingehe, will ich ganz kurz auf die Hintergründe der Problematik verweisen. Ursprünglich in den ersten Jahrhunderten waren die Kinder wohl weitgehend beim Abendmahl dabei; relativ sicher ist das jedenfalls ab dem Zeitpunkt, von dem an es die Kindertaufe gab – in den orthodoxen Kirchen ist das heute noch so. Entscheidend als Voraussetzung war immer schon die Taufe.
Nun hat es ungefähr bis ins zwölfte und dreizehnte Jahrhundert in der damaligen Westkirche, d.h. in dem Gebiet, zu dem wir auch gehören, eine ganz bestimmte Tendenz gegeben. Immer mehr standen, vor allem durch die Theologie des Thomas von Aquin bestimmt, die Elemente im Mittelpunkt. Und das “ist” wurde immer stärker betont: Das Brot ist der Leib Christi und der Wein ist das Blut Jesu Christi. Das führte zur so genannten Transsubstantiationslehre, die besagt, dass die Elemente sich verändern. Die Substanz verändert sich, während die äußere Erscheinungsweise gleich bleibt. Anders und etwas hemdsärmelig gesagt: Sieht aus wie Brot, schmeckt wie Brot, ist aber kein Brot. Und beim Wein gilt das Entsprechende – die Elemente werden durch den Priester gewandelt. Das hat dann Konsequenzen für die Praxis der Eucharistie gehabt.
Einmal den Wein betreffend. In der römisch-katholischen Theologie gab es nie ein Verbot des Laienkelchs, also dass alle den Wein trinken. Aus pragmatischen Gründen aber wird der Kelch nicht weitergegeben, weil die Gefahr des Verschüttens so groß ist. Und beim Brot war es dasselbe. Weil Kinder so viel krümeln – meine jedenfalls –, wurde den Kindern die Teilnahme an der Eucharistie verwehrt – auf dem Laterankonzil 1215 wurde beschlossen, dass Kinder erst ab sieben Jahren kommunizieren dürfen; später wurde dieses Alter auf 13-14 Jahre hochgesetzt, dann im 19. Jahrhundert wieder auf sieben Jahre herabgesetzt.
Die Reformatoren also kannten kein Kinderabendmahl. Aber die Begründung der damaligen römisch-katholischen Theologie konnten sie mit ihrem Abendmahlsverständnis, egal ob lutherisch oder reformiert, nicht übernehmen. Deswegen haben sie eine andere Kategorie eingeführt: Das Verstehen dessen, das Verstehen des Abendmahls. Und deshalb ist die Konfirmation als Zeitpunkt, an dem die Konfirmanden ihr Verstehens-Ja sprechen konnten, zum entscheidenden Kriterium gemacht worden.
Die Ablehnung des Abendmahls mit Kindern hatte noch einen anderen Grund: Bei Paulus heißt es in 1. Kor 11, dass man nicht unwürdig das Abendmahl essen solle, “weil wer so isst und trinkt, der isst und trinkt sich selber zum Gericht.” (1. Kor 11,29). Dieser Vers hat übrigens zu bestimmten Abendmahlspraktiken geführt, die in Ostfriesland besonders stark sind, weil vor allem der Pietismus die Gewissenserforschung zum Ausgangspunkt machte: Hier gehen zum Abendmahl ganz viele deshalb nicht, weil sie sich nicht würdig genug fühlen. Und bei Kindern wurde die Gefahr des Unwürdig-Essens noch größer gesehen. Hier ist die heutige exegetische Forschung zu deutlich anderen Ergebnissen gekommen.
Die Ausgangssituation in Korinth war, dass die Gemeinde erst ein normales Abendessen zu sich nahm und anschließend das Abendmahl feierte. Die Reicheren hatten genug zu essen, andere hungerten. Wenn dann das Abendmahl gefeiert wird, ist das ein Affront – Gemeinschaft wird nicht gelebt, sondern gestört. Denn es wird nicht geteilt, sondern die Ungleichheit beinahe überhöht. Und das ist geradezu ein Angriff auf die eigentliche Bedeutung des Abendmahls, weil es darum geht, als Gäste am Tisch des Herrn zu feiern – und nicht vorhandene Unterscheide zu überhöhen und Ungleichheiten, die eh schon bestehen, gleichsam mit dem Abendmahl zu legitimieren. Es hat aber das Abendmahl weniger mit der Würde des oder der Einzelnen zu tun. Oder anders und knapp gesagt: Es ist das Abendmahl eine Stärkung der Sündern und nicht eine Vergewisserung der Gerechten.
Was heißt nun der Duktus meines Vortrags für das Kinderabendmahl heute? Ich bin nicht der Meinung, als bedeutet die Konfirmation den entscheidenden Einschnitt für die Feier des Abendmahls. Vielerorts gibt es die Praxis, dass die Behandlung des Abendmahls im kirchlichen Unterricht geschehen sein sollte, bevor eine Teilnahme erlaubt wird. Daran ist etwas Richtiges gesehen: es geht auch um das Verstehen dessen, was da geschieht. Aber dieses Verstehen ist keineswegs alleine kognitiv, es geht ja um die göttliche Pädagogik. Und – Sie werden sich vielleicht erinnern – das Feiern des Passahmahles geschah in der jüdischen Familie, und da fragt das Kind, das also mitfeiert.
Ich habe also überhaupt kein Problem, Kinder zum Abendmahl zuzulassen. Aber man sollte dabei insgesamt das Abendmahl nicht reduzieren auf einen Symbolakt. Im Mittelpunkt des Abendmahls steht das Gedenken des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Und das Ziel muss es sein, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Abendmahl auch verstehen können, was da geschieht. Die Passahfeier hat dieses Erklären zum Inhalt – da darf gefragt werden, da ist das Fragen, das Gespräch über Inhalte gleichsam Programm. Und deswegen brauchen wir in unseren Gemeinden diese Momente des Verstehens. Für Kinder – und für Erwachsene. Das Abendmahl ist kein Mysterium, sondern Feier der Gemeinschaft – mit Gott und untereinander. Es macht Kinder froh – und Erwachsene ebenso.
6.3 Das Abendmahl als Gemeinschaftsfeier
Gemeinschaft im Abendmahl zu haben kann sich auch in der Form der Feier niederschlagen. Wichtig aber ist, das Zentrum, den eigentlichen Bezug nicht auszublenden. Aus Verlegenheit des Umgehens mit der Botschaft vom Kreuz – das ist ja so düster und heute nicht mehr verständlich – ist das Abendmahl oft verstanden worden als Feier unserer Gemeinschaft untereinander. Wenn das alles ist, dann ist das ein Armutszeugnis. Es ist das Abendmahl die Feier der Gemeinschaft des Leibes und Blutes Jesu Christi – und dann gehört in der Konsequenz auch die Gemeinschaft untereinander dazu. Markus Barth hat einem der besten Bücher zum Thema Abendmahl, das ich kenne, den Titel gegeben: Das Mahl des Herrn. Gemeinschaft mit Christus, mit Israel und unter den Gästen.[10]
Das Abendmahl, von dem Calvin übrigens wollte, dass es jeden Sonntag gefeiert wird, ist Feier der Gemeinschaft, der Gemeinde. Es verbindet uns mit Israel, auch weil wir im Gedenken von Israel gelernt haben und es uns an die Geschichte Gottes bindet. Und im entscheidenden Sinn ist es Gemeinschaft mit Christus, weil Gott seinen Sohn gesandt und für alle dahingegeben hat – und uns durch den Heiligen Geist mit ihm verbindet. Und damit verbindet es uns untereinander.
Solches tut zu seinem Gedächtnis.
Prof. Dr. Georg Plasger
[1] Yosef Hayim Yerushalmi, Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin 1988, 22.
[2] Mischna Pesachim, 10,5. Zitiert nach Yosef Hayim Yerushalmi, Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin 1988, 57.
[3] Jezus Christus, onze Heer en Verlosser. Hg. v. Generale Synode van de Nederlandse Hervormde Kerk, Generale synode van de Gereformeerde Kerken in nederland, Synode van de Evangelisch-Lutherse Kerk in het Koninkrijk der Nederlanden, Zoetermeer 2001; die deutsche Ausgabe ist in der Übersetzung von Dr. G.J. Beuker erschienen, aber nicht über den Buchhandel vertrieben worden.
[4] Huldreich Zwingli, De vera et falsa religione commentarius (wie Anm. 7), S. 803,26.
[5] In “De vera et falsa religione commentarius” (vgl. Anm. 7) taucht der Begriff “eucharistia” erstmals in der Überschrift auf.
[6] “hac coena voluisse iucundam sui commemorationem fieri, gratiasque publice haberi pro beneficio, quod in nos liberaliter expendit”, Huldreich Zwingli, De vera et falsa religione commentarius (wie Anm. 7), S. 775,24-26.
[7] “Und so dise widergedächtnuß eyn dancksagung und frolocken ist dem allmechtigenn gott umb die gutthat, die er uns durch sinen sun bewisen hatt, unnd, welcher in disem fäst, mal oder dancksagung erschynt, sich bezügt, das er deren sye, die da gloubind, das sy mit dem tod und blut unsers herren Jesu Christi erlößt sind” Huldreich Zwingli, Aktion oder Brauch des Nachtmahls, in: Huldreich Zwinglis sämtliche Werke Bd. IV (CR 91), Leipzig 1927, S. 1-24, hier S. 15,10-15.
[8] “Caena igitur dominica ... mortis Christi commemoratio est, non peccatorum remissio; nam ea solius mortis Christi est”, Huldreich Zwingli, De vera et falsa religione commentarius (wie Anm. 7), S. 799,3-5.
[9] G.W. Locher, Streit unter Gästen. Die Lehre aus der Abendmahlsdebatte der Reformatoren für das Verständnis und die Feier des Abendmahles heute, Zürich 1972.
[10] Markus Barth, Das Mahl des Herrn. Gemeinschaft mit Christus, mit Israel und unter den Gästen, Neukirchen 1986.
Georg Plasger