Das Einladungsschreiben zur Emder Synode von 1571 in hochdeutscher Übersetzung
Den frommen und gläubigen Brüdern in Christus, dem Pastor und den Ältesten der französischen Gemeinde in Emden.*
Gnade und Friede von unserem Herrn!
Die Propheten verkünden die Zukunft unter der Herrschaft Christi, einzelne nehmen ihre Brüder bei der Hand und rufen sie zur reinen Gottesverehrung auf und spornen sie dazu an, dass sie Schulter an Schulter dem lebendigen Gott dienen und sich in gegenseitigem Einvernehmen bemühen, einander zu unterstützen. Darum, ehrenwerte Brüder, halten wir es für vollkommen vereinbar mit unserem Amt, uns brüderlich mit Euch zu besprechen. Denn wir sind überzeugt, dass dringend etwas im Interesse und zum Nutzen unserer niederländischen Gemeinden geschehen muss. Keiner soll dieses Vorhaben falsch verstehen, als ob wir uns irgendein Recht oder eine Autorität über die Gemeinden Christi anmaßen oder uns gar heimlich in sie einschleichen. Auch wenn im Hintergrund unseres Schreibens die leidenschaftliche Gesinnung zugunsten der Gemeinden Christi steht, wollen wir nicht selbstherrlich auftreten und Vorschriften machen. Wir wollen lediglich einen Weg aufzeigen, auf dem mit vereinten Sinnen und Herzen eine heilsame Ordnung unter uns aufgerichtet werden kann. Lasst uns einmal sehr ernsthaft die Veranstaltung gemeinsamer Synoden erwägen! Auf diesen kann über die vielfältigen Aufgaben, die dem Gemeindeaufbau dienen, gründlich und gemeinsam beraten, nachgedacht und verhandelt werden. Um in solche Überlegungen beherzt einzusteigen, scheinen uns neben anderen Gesichtspunkten, die uns zu Recht bewegen müssen, die folgenden von großer Bedeutung zu sein.
Erstens sollen diese Versammlungen von Gläubigen, die man Synodale oder auch anders nennen kann, den Herrn Christus als Urheber und Prüfungsinstanz haben, da er uns seinen besonderen und gegenwärtigen Segen und Gnade versprochen hat. Er nimmt die Gemeinschaft, die Einmütigkeit und das Gebet schon von zweien oder dreien so an, dass sie nicht vergeblich sein werden, wenn sie sich nur in seinem Namen versammeln. Umso mehr ist das doch der Fall, wenn nicht einige wenige, sondern die Frommen und Gläubigen in großer Zahl zusammenkommen, einer Meinung sind und beten.
Es kommt zweitens die Praxis der Apostel hinzu, zu der sie nach dem Zeugnis der Schrift bei solchen Versammlungen häufig gegriffen und durch die sie ihre großartigsten Erfolge gemeinsam erzielt haben. Denn was hat der Kirche den Matthias, den heiligen Apostel Gottes, beschert? Waren das etwa nicht die Versammlung, die Einmütigkeit und das gemeinsame Gebet der übrigen Apostel? Und was sonst hat für das wahrlich sehr nützliche und absolut notwendige Amt der Diakone gesorgt, wenn nicht die heilige Einberufung und fromme Einmütigkeit der Apostel und der Gemeinde? Mit einem großartigen Ergebnis! Seit dieser Zeit wuchs die Zahl der Jünger in Jerusalem stark an, und es hörte eine große Schar von Priestern auf die Verkündigung des Glaubens. Es liegt vollkommen auf der Hand, dass nur die fromme Versammlung und Einmütigkeit der Apostel und Ältesten von Jerusalem den gefährlichen Streit der Gemeinde von Antiochia beilegen konnte, in dem es um die Gerechtigkeit aus dem Glauben und die Werke des Gesetzes ging. Wenn wir das, was Paulus im 2. Kapitel an die Galater schreibt, sorgfältig bedenken, dann stoßen wir darin auf das brüderliche Gespräch und die Gemeinschaft zwischen ihm und den übrigen Aposteln. Nachdem unter ihnen Einmütigkeit über die Lehre hergestellt war, folgte als Ergebnis, dass allen Verleumdern das Maul gestopft wurde, die Paulus vorwarfen, eine von den Aposteln abweichende Lehre zu vertreten, und seinen Dienst als verdächtig und sinnlos hinzustellen versuchten. Jetzt war für Paulus‘ Dienst das Tor weit aufgestoßen. Aus allen diesen Beispielen geht klar hervor, wie notwendig und nützlich solche Synoden für die Gemeinden Christi sind. Durch sie können die Reinheit der Lehre gefördert und die Einheit bewahrt werden.
Andererseits können, wie wir sehen, die Verführung durch Irrlehre und falsche Lehrmeinungen aufgedeckt und diese gründlich widerlegt, Rechtgläubige in der reinen Lehre bestärkt, Abweichende auf den rechten Weg zurückgeführt werden, treue Pastoren sich um ihre Gemeinden kümmern, Meinungsverschiedenheiten in der Gemeinde beigelegt, Zerwürfnisse beseitigt werden und die Armenfürsorge geschehen.
Diesen Gedanken fügen wir drittens etwas an, das nicht nur die Erfahrung selbst, sondern auch das Wort des Herrn uns lehrt: Gott hat seine Gaben den Menschen so zugeteilt, dass er einzelnen nicht die ganze Fülle, sondern nur ein ganz bestimmtes Maß und Anteil dieser Gaben gegeben hat. Dadurch sind sie untereinander vereint und verbunden und bereichern sich gegenseitig. Sie sind Werkzeuge füreinander und gleichsam Kanäle für Gottes Güte und Barmherzigkeit, was durch das Zusammenwirken und die gegenseitige Mitteilung ihrer Gaben bewirkt wird. Daraus folgt: Je größer die Zahl der Gläubigen ist, die untereinander in Verbindung stehen, umso reicher ist die Fülle der Gnade, die sich von dort auf alle ergießt. Wenn sie jedoch zersplittert sind, miteinander im Streit liegen und sich gegenseitig die herrlichsten Gottesgaben rauben, was gemäß dem gerechten Urteil Gottes nicht nur vielen Pastoren, sondern unserer Ansicht nach sogar ganzen Gemeinden widerfahren ist: dann bleiben sie, wenn sie keine Gemeinschaft oder Verbindung untereinander halten, auf schlimme Weise zersplittert und miteinander im Streit. So werfen sie ihre hervorragendsten Einsichten, die ihnen gut zu Gesicht stehende Ordnung und Zucht sowie andere Gottesgaben fort. Wenn nun besonders schwere Probleme auftreten, die den gemeinsamen Zustand der Gemeinden betreffen und deswegen nicht von wenigen Männern angemessen behandelt und entschieden werden können, liegt es auf der Hand, dass man eine große Versammlung frommer Männer braucht. Diese können ihre Gaben der Allgemeinheit zur Verfügung stellen und aus ihrem Reichtum etwas für die Kirche Christi Heilsames beraten und beschließen. Im Übrigen meinen wir, bei einer so heiligen, nützlichen und offensichtlich notwendigen Angelegenheit Euch gegenüber nicht noch mehr Argumente anführen zu müssen. Schließlich wollen wir nicht den Anschein erwecken, in Glaubensfragen anders als Ihr zu denken.
Um in dieser Sache einen Anfang zu machen, halten wir es für klug, dass wir möglichst vor dem nächsten Winter einmal zusammenkommen, und zwar, falls Ihr damit einverstanden seid, am 1. Oktober in Köln. Wir möchten Euch über die ganze Angelegenheit gründlich befragen: Was denkt Ihr über eine Versammlung überhaupt, was über Ort und Zeit? Wollt Ihr Leute entsenden? Gebt uns sobald wie möglich darüber eine Nachricht. Dasselbe erbitten wir schriftlich von den Gemeinden in Schönau, Frankenthal, Lambrecht, von beiden Gemeinden in Frankfurt, von den Gemeinden in Aachen, Köln und Wesel und von den Gemeinden, die unter der Gewaltherrschaft Albas seufzen. Wir hoffen, dass sie unserer Bitte nachkommen.
Damit die einzelnen Vertreter möglichst gut unterrichtet dorthin kommen, scheint es uns nützlich, die wichtigsten Tagesordnungspunkte beizufügen. Denn wenn die Synode die Vorstellungen der einzelnen Gemeinden kennt, kann sie leichter zu guten Entscheidungen kommen. Wir zweifeln aber nicht daran, dass Ihr selbst hinreichend einschätzen könnt, mit welcher Umsicht die ganze Angelegenheit durchgeführt und mit welchem Stillschweigen sie behandelt werden muss, so dass eine Ermahnung unsererseits überflüssig ist. Deswegen bitten wir den gnädigen und allmächtigen Gott und himmlischen Vater durch seinen geliebten Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, dass er Euch, unsere allerbesten Brüder, zu dieser Aufgabe heilsame Einsicht schenkt und mit dem Segen des Heiligen Geistes reichlich ausrüstet und erfüllt.
Heidelberg, den 30. Juni 1571
Eure Brüder in Christus
Petrus Dathenus
Johannes Taffinus
Petrus Colonius
*Übersetzung aus dem Lateinischen von Matthias Freudenberg
Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Verlages Vandenhoeck&Ruprecht:
Matthias Freudenberg/Aleida Siller, Emder Synode 1571 – Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne, Göttingen 2020