Die Rahmenbedingungen der Emder Synode von 1571 und ihre Grundsatzentscheidungen


Herkunftsorte der Teilnehmer an der Emder Synode; © Ilka Crimi

Von Kęstutis Daugirdas

Um die Leistung der Emder Synode von 1571 angemessen erfassen zu können, müssen zwei Punkte berücksichtigt werden. Als erstes ist es unumgänglich, sich die historischen Rahmenbedingungen vor Augen zu führen: Wie ist diese Synode zustande gekommen, welche Zielsetzung hatte sie, wer nahm an ihr teil und wie wirkte sich das auf ihre Beschlüsse aus? Im zweiten Schritt sollen die Grundsatzentscheidungen der Emder Synode in ihrem prinzipiellen Zuschnitt umrissen werden. Dabei rückt weniger der Inhalt der einzelnen Artikel, sondern vielmehr ihre Grundidee und ihr regulatives Prinzip in den Fokus. 

Historische Rahmenbedingungen 
Blickt man auf die Zielsetzung der Emder Synode zurück, darf man nicht übersehen, dass dies eine Kirchenversammlung von Exulanten war. Einberufen und beschickt wurde sie überwiegend von den Mitgliedern der wallonischen und flämischen Flüchtlingsgemeinden, die in den Nachbargebieten der Niederlande Zuflucht vor den Repressalien der katholisch gesinnten habsburgischen Obrigkeit gefunden hatten. Vor allem unter der Herrschaft des Herzogs von Alba, der von 1567 bis 1573 als Statthalter der Spanischen Niederlande fungierte und dessen Truppen gegen die protestantisch Gesinnten brutal vorgingen, war es zu einem Massenexodus gekommen. 

Hieraus erwuchs die Notwendigkeit, das kirchliche Leben so zu organisieren, dass es den neuen Bedingungen Rechnung trug. Mit ihren Beschlüssen zielte die Emder Synode also auf die Selbstorganisation jener Gemeinden, die ihrer Selbstwahrnehmung nach »unter dem Kreuz« waren. Dabei muss angemerkt werden, dass die Emder Synode nicht die erste Zusammenkunft war, die sich mit dieser Aufgabe befasste. Ihr war der Weseler Konvent vorangegangen, der vermutlich im ausgehenden Herbst 1568 getagt hatte und dessen Beschlüsse den Aufbau presbyterial-synodaler Kirchenstrukturen strukturell vorzeichneten. Die bisherige Forschung ist sich aber einig, dass der Weseler Konvent noch nicht als eine Synode mit kirchenrechtlich bindender Kraft anzusehen sei. Diese Rolle fiel erst der Emder Synode zu, die sich die Frage nach verbindlichen, übergreifenden Kirchenstrukturen explizit zu eigen gemacht und entsprechende Lösungen erarbeitet hat. 

Der Synode selbst ging ein Einladungsschreiben voraus, das die Pastoren Petrus Dathenus (ca. 1531–1588), Johannes Taffinus (Jean Taffin, 1529–1602) und Petrus Colonius (van Keulen, ca. 1530–1571) am 30. Juni 1571 von Heidelberg aus an niederländische Gemeinden in der Pfalz, am Niederrhein, in Ostfriesland sowie an die in den Niederlanden verbliebenen Gemeinden richteten. Einladungsschreiben zur Emder Synode aus Heidelberg vom 30. Juni 1571, Johannes a Lasco Bibliothek; Foto: Aleida SillerDarin wurde über die Notwendigkeit der Abhaltung gemeinsamer Synoden reflektiert, auf denen »über die vielfältigen Aufgaben, die dem Gemeindeaufbau dienen, gründlich und gemeinsam beraten, nachgedacht und verhandelt werden« könne.

Eine solche Notwendigkeit gemeinsamer Synoden begründeten die Unterzeichneten dreifach. Zum einen sahen sie diese in der Aufforderung Christi angelegt, sich in seinem Namen zu versammeln (Mt 18,20). Zum anderen wurde der lehrmäßige Nutzen der gemeinschaftlichen Beratungen betont: Auf diese Weise könne die Reinheit der Lehre und ihre Einheit gefördert werden. Drittens und letztens erachteten Dathenus, Taffinus und Colonius die Beratungen als unumgänglich, die, überregional beschickt, das große Ganze – den gemeinsamen Bestand der Gemeinden – im Auge behalten sollten. Trotz der seitens der protestantisch gesinnten Stände in den Niederlanden unternommenen Versuche, die Synode im Sinne des Befreiungskampfes gegen die in den Niederlanden herrschenden spanischen Habsburger politisch zu instrumentalisieren, widersetzte man sich dem bereits bei der Abfassung des Einladungsschreibens. 

Bedacht auf den Aufbau einer überregionalen kirchlichen Struktur, die von politischen Strukturen weder unmittelbar abhängig noch mit diesen verwoben war, lud man zu Beratungen nach Köln ein. Im Laufe der anschließenden Monate legte man sich dann aber aus pragmatischen Gründen auf Emden als Austragungsortfest. Ausschlaggebend für die Ortswahl war vermutlich der Wunsch, auch den Vertretern der Flüchtlingsgemeinden in England die Anwesenheit bei den Beratungen zu ermöglichen: Emden war von England aus bequem mit dem Schiff zu erreichen. Zwar erhielten die in England Weilenden von den dortigen Obrigkeiten keine Erlaubnis, nach Emden zu reisen. An dem Verfahren der Einberufung der Emder Synode ist aber abzulesen, dass man seitens ihrer Organisatoren an eine länderübergreifende kirchliche Zusammenkunft gedacht hatte. 

Von daher erblickten manche Kirchenhistoriker in der Emder Synode eine Art Generalsynode, die sie als solche dann auch gelegentlich so bezeichnet haben. In Wirklichkeit sah der Rahmen der Emder Synode allerdings viel bescheidener aus. Sieht man von den fehlenden Abgesandten aus England ab, wurde die Synode vom Kirchenrat der Emder Ortsgemeinde in seinen Protokollen kaum erwähnt, auch ist von ihnen kein Vertreter an der Synode bekannt. Unter den Teilnehmern der Synode sind nur die drei Vertreter der französischsprachigen Flüchtlingsgemeinde in Emden verzeichnet, nämlich der Pastor der Gemeinde Johannes Polyander und die Ältesten Carolus de Noude und Christophorus Becanus. Insgesamt nahmen an den Emder Verhandlungen, die sich vom 4. bis zum 13. Oktober 1571 erstreckten, 29 Abgesandte teil, 24 Pastoren und 5 Älteste. 

Mehrheitlich entstammten sie den niederländischen Flüchtlingsgemeinden in deutschen Territorien bzw. Städten, die nicht immer über eigene Gemeindestrukturen verfügten, sondern, wie etwa die niederländischsprachigen Flüchtlinge in Emden, der städtischen Gemeinde lose angeschlossen waren. So unterzeichneten beispielsweise die zu jener Zeit im Emder Exil weilenden Johannes Arnoldi (gest. 1573) und Petrus Gabriel (gest. 1573) die gefassten Synodalbeschlüsse als Pastoren der Gemeinde zu Amsterdam – ein klarer Hinweis auf eine Notsituation, der man in organisatorischer Hinsicht erst überhaupt Herr werden musste. Man kam nach Emden, um über recht unüberschaubare kirchenorganisatorische Verhältnisse zu beraten und um Lösungen zu finden, die den Bestand der niederländischen reformierten Gemeinden im Sinne einer Gesamtkirche gewährleisteten. Wie sahen nun diese Lösungen aus? 

Grundsatzentscheidungen der Emder Synode 
Ungeachtet der unsicheren Zukunft und der suboptimalen Bedingungen, unter denen die Synodalen ihre Arbeit zu verrichten hatten, gelang es der Emder Synode, einen knapp gehaltenen, aber für die kirchenorganisatorische Systematik richtungweisenden Entwurf auszuarbeiten. Während der zehntägigen Beratungen einigte man sich auf 53 Artikel Generalia, welche die allgemeinen Richtlinien bezüglich der nicht strikt exkludierend gehandhabten lehrmäßigen Bestimmungen, der presbyterial-synodalen Kirchenorganisation, der Amtshandlungen und der Kirchenzucht absteckten. Es folgten 25 Artikel Partikularia, die sich der konkreten Anliegen der Gemeinden annahmen und diese im Einklang mit den Generalia zu regeln suchten. Den abschließenden Teil bildeten 26 Bestimmungen mit einer Art Geschäftsordnung für eine presbyterial-synodal verfasste Kirche. Für unsere Zusammenhänge ist die strukturelle Umrahmung der 53 Artikel der Generalia und das die 26 Bestimmungen durchziehende regulative Prinzip der presbyterial-synodalen Geschäftsordnung besonders aussagekräftig. 

Charakteristisch für die prinzipielle Ausrichtung der Generalia ist ihr vielzitierter Eingangsartikel. Darin hielten die Synodalen in antirömischer Positionierung ihr Grundsatzanliegen fest, dass es in der Kirche keine Hierarchie geben dürfe. In der damaligen deutschen Übersetzung, die man von dem in Lateinisch abgefassten Original alsbald angefertigt hat, klingt das wie folgt: »Es soll kein kirch, kein diener [= Prediger], kein eltester, kein diack einigen vorschub [= Primat] noch herschungh uber den anderen haben, sondern sollen sich vielmehr alles argwohns und boser gelegenheit vermeiden«. 

Mit einer solchen Bestimmung meinten die in Emden Zusammengekommenen freilich nicht das andere Extrem: einen uneingeschränkten Kongregationalismus im Sinne der absoluten Autonomie der Einzelgemeinde. Um dieser Gefahr zu wehren, die gerade unter den Bedingungen des Exils akut war, schlossen die Synodalen die Generalia mit einem Artikel ab, in dem sie die kirchenrechtlich bindende Kraft der übergemeindlichen Synodalbeschlüsse einschärften und auf diese Weise die Idee der Gesamtkirche wachhielten. Der Artikel 53 lautet nämlich: »Diese articulen, zu der rechter ordnungh der kirchen gehörendt, seind also mit einmutigem sinne uffgesetzt. Doch das dieselb nach nutz der kirchen jederzeit geendert, gemehret und gemindert mögen und sollen werden, das soll in macht keiner besonderer kirchen [=Einzelgemeinde] sein, sonderen sollen allen fleiß anwenden, daß diese ordnungh so lang gehalten werden, biß das auf dem synodo anders verordnet werde.« 

Das reibungslose Zusammenspiel zwischen der Einzelgemeinde und der über sie hinausgehenden gesamtkirchlichen Strukturen sollte nach der Meinung der Emder Synodalen jedenfalls von dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip gewährleistet werden. Auch wenn dieses Prinzip begrifflich nicht artikuliert wurde, ist es in den 26 Bestimmungen für eine presbyterial-synodal verfasste Kirche deutlich erkennbar. Vor allem jene Artikel, die die Entscheidungswege der Gesamtkirche von der konsistorial geleiteten Gemeinde über die Classical- und Provinzialsynoden bis hin zu Generalsynoden ins Auge fassten, sind von ihm durchdrungen. 

So wird in Artikel 3 bezüglich der Classicalversammlungen festgehalten, dass auf dieser Ebene solche Fragen behandeln werden sollten, die vom Konsistorium auf Gemeindeebene nicht gelöst werden konnten. Und Artikel 1 der Bestimmungen für die Provinzsynoden hält ausdrücklich fest, dass die von den Classicalversammlungen zu den Provinzsynoden Delegierten nur die Fragen mitzubringen hätten, die auf den vorangegangenen zwei Ebenen nicht entschieden werden konnten: »Wer zur Provinzsynode entsandt wird, soll ein Bestätigungsschreiben und die vorzulegenden Fragen in schriftlicher Form mitbringen. Dabei wird nur das aufgeschrieben, was in den Konsistorien und Versammlungen der Classes nicht entschieden werden konnte oder was alle Gemeinden der Provinz angeht. Die Provinzsynode soll nicht durch unnötige Fragen aufgehalten werden.« Entsprechendes sollte auch für die Generalsynoden gelten, deren genaue Durchführung die Teilnehmer der Emder Synode allerdings nicht näher definierten. 

Bedeutung 
Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf die Rahmenbedingungen der Emder Synode und ihre Grundsatzentscheidungen festhalten: Erstens, es war eine Kirchenversammlung von Exulanten, einberufen und beschickt überwiegend von Mitgliedern der niederländischen Flüchtlingsgemeinden, die in den Nachbargebieten der Niederlande Zuflucht vor den Repressalien der katholischen Obrigkeiten gefunden hatten. Man kam nach Emden, um über kirchenorganisatorische Verhältnisse zu beraten und um Lösungen zu finden, die den Bestand der Gemeinden im Sinne einer Gesamtkirche gewährleisteten. Dies schlug sich – zweitens – in der Grundidee und dem regulativen Prinzip der Beschlüsse nieder. Bedacht auf den Aufbau einer nicht-hierarchisch verfassten presbyterial-synodalen Kirchenstruktur, suchten die Synodalen zugleich die Gefahren einer absoluten Autonomie der Einzelgemeinden zu vermeiden. In ihren Augen eignete sich hierfür das später sogenannte Subsidiaritätsprinzip am besten, welches das Zusammenspiel zwischen der Einzelgemeinde und der über sie hinausgehenden gesamtkirchlichen Strukturen von Classicalversammlungen, Provinz- und Generalsynoden ermöglichen sollte. 

Abbildung: Einladungsschreiben zur Emder Synode aus Heidelberg vom 30. Juni 1571, Johannes a Lasco Bibliothek; Foto: Aleida Siller